Life - Richards, K: Life - Life
sich selbst. Klar, vor allem geht es mir um gute Grooves, um gute Riffs, um Rock’n’Roll. Aber es gibt eben auch die andere Seite der Medaille. Die Seite, die sich nach »As Tears Go By« zurücksehnt, das ja auch nicht aus dem Nichts kam. Inzwischen hatte ich viel im Countryumfeld gearbeitet, besonders mit Gram Parsons, und diese Melancholie des einsamen Reiters geht schon ziemlich unter die Haut. Da sagt man sich: Mal schauen, wie sehr ich die Leute berühren kann.
Manche Leute denken, in »Coming Down Again« geht es um mich und Anita, und wie ich sie Brian ausgespannt habe, aber das war längst kalter Kaffee. Es gibt immer Höhen und Tiefen. Meistens war ich ganz weit oben, aber wenn es bergab ging, ging es verdammt steil bergab. Ich erinnere mich an viele glückliche Momente, an viel harte Arbeit. Aber wenn die Kacke am Dampfen war, dampfte sie richtig übel. Weil ich einfach nicht mehr konnte, oder weil die Bullen anrollten. Entweder ich stand vor Gericht, oder ich würde bald vor Gericht stehen, oder ich hatte mit Visumsproblemen zu kämpfen - so lief das lange Zeit. Ein ständiger Stress. Da
war es umso schöner, im Studio abzuschalten, für ein paar Stunden alles zu vergessen. Hinterher würde die Scheiße sowieso von vorne losgehen.
Noch bevor die Aufnahmen beendet waren, hatten wir schon beschlossen, auf Jamaika zu bleiben. Anita, Marlon, Angie und ich zogen an die Nordküste, nach Mammee Bay zwischen Ocho Rios und Saint Ann’s Bay. Dort ging uns bald der Stoff aus. Kalter Entzug im Paradies - war ja klar. Aber gut, besser hier als anderswo. (Trotzdem war der Entzug nur ein klein wenig wärmer.) Was soll’s, irgendwann hat man alles überstanden, und als wir uns wieder wie menschliche Wesen benahmen, kamen wir mit ein paar Rastabrüdern von der Küste zusammen. Der Erste war Chobbs - oder Richard Williams, der Geburtsurkunde zufolge. Einer dieser typischen, vor Selbstbewusstsein strotzenden Leute, die du am Strand triffst. Er verkaufte Kokosnüsse, Rum und alles, was er irgendwie an den Mann bringen konnte. Die Kinder nahm er immer in seinem Boot mit raus aufs Wasser. Wir kamen auf die übliche Tour in Kontakt: »Hey, wie sieht’s mit ein bisschen was zu rauchen aus?« Kurz darauf lernte ich Derelin, Byron und Spokesy kennen, Letzterer kam später bei einem Motorradunfall ums Leben. Alle diese Typen lebten von den Touristen in Mammee Bay, wohnten aber größtenteils in Steer Town. Mit der Zeit tauchten sie immer öfter bei mir auf, und irgendwann drehte sich das Gespräch um Musik. Da waren Warrin (Warrin Williamson), »Iron Lion« Jackie (Vincent Ellis) und Neville (Milton Beckerd), ein Rasta, der bis heute in meinem Haus auf Jamaika wohnt. Oder Tony (Winston »Blackskull« Thomas) und ihr Anführer Locksley Whitlock, genannt »Locksie«, gewissermaßen der »Boss Man«. Locksie hieß er wegen seines ausgefallenen Haupthaars - ein besonders schwerer Fall von Dreadlocks. Er hätte einen erstklassigen Cricketspieler abgegeben, einen teuflischen Schlagmann; sie
hatten ihn sogar in die erste jamaikanische Mannschaft eingeladen, aber es war daran gescheitert, dass er seine Locken nicht abschneiden wollte. Ich besitze ein Bild von Locksie an der Schlaglinie. Nur einer von ihnen hatte die Musik zum Beruf gemacht: Justin Hinds, der König des Ska, der 2005 tragisch verstarb. Ein wundervoller Sänger, die Reinkarnation von Sam Cooke. Als Justin Hinds and the Dominoes hatte er mit Carry Go Bring Come 1963 einen großen Hit auf Jamaika gehabt, eine seiner erfolgreichsten Platten überhaupt. In den letzten paar Jahren vor seinem Tod nahm er mit seiner eigenen Band, den Jamaica All Stars, Platten auf. Er war immer noch einer von ihnen, einer der Brüder von Steer Town -ein furchterregender Ort, ein Stückchen weiter im Landesinneren gelegen. Vor meiner Bekanntschaft mit den Rastas hätte ich mich niemals dorthin gewagt. Gelinde gesagt wäre ich dort nicht sehr willkommen gewesen. Aber Chobbs führte mich ganz behutsam ein, bis ich sogar zum Covenant mitdurfte, zu ihrer mobilen Großversammlung.
»Komm zum Covenant, Bruder. Du bist willkommen.« Um Himmels willen, dachte ich mir, keine Ahnung, was das bedeutet, aber wenn sie mich schon einladen … Und dann konnte man tatsächlich so gut wie nichts sehen, so dick war der Rauch, der über allem hing. Alle rauchten sie ihre Chalice, eine hohle Kokosnuss mit einer dicken Tonschale obendrauf und einem Gummiröhrchen zum Ziehen, drinnen ein gutes halbes Pfund Gras.
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