Life - Richards, K: Life - Life
meinst. Bloß warum zum Teufel hält sich diese Bande schwarzer Jamaikaner für jüdisch? Gute Frage. Wahrscheinlich war einfach ein Stamm frei, und den haben sie sich halt geschnappt. Das ist zumindest mein Eindruck. Und Haile Selassie, diese unwirkliche, mittelalterliche Erscheinung, gab dann eine gute Gottheit ab und wurde mit biblischen Titeln überschüttet. Der Löwe von Juda. Selassie, der Erste. Bei Blitz und Donner sprangen alle auf: » Jah! Danket dem Herrn!« Da sah man doch, dass Gott bei der Sache war! Ihre Bibel kannten sie auswendig, sie konnten Tausende Zitate aus dem alten Testament hervorzaubern, und diese enorme Leidenschaft war mir sehr sympathisch. Egal, wie die religiösen Details aussehen, die Rastafaris leben immer am Rand des Abgrunds. Ihr Stolz ist ihr Ein und Alles. Und letztendlich geht es ihnen gar nicht um Religion - es geht um ein letztes Aufbegehren gegen Babylon. Die Grundsätze des Rastafari-Rechts sind keineswegs unumstößlich. Viele Rastas sind flexibel, viele brechen ihre unzähligen Regeln mit Freuden. Manchmal streiten sie über irgendeinen Aspekt ihrer Doktrin - ein unglaublicher Anblick. Sie haben kein Parlament, keinen Senat oder Ältestenrat. Ihre Politik, »fundamental reasoning«, erinnert sehr ans britische Unterhaus, nur dass hier ein Haufen benebelter Typen unter einer riesigen Dunstwolke diskutiert.
Am meisten hat mich fasziniert, dass es hier kein Du und Ich gab - es gab nur I and I . Ich bin ich, du bist du - damit war Schluss, dieser Unterschied war aufgehoben. Wir können nie wirklich kommunizieren, aber Ich und Ich schon. Wir sind eins. Eine wunderschöne Vorstellung.
So entschlossen wie damals waren die Rastas später selten. Während ich mir noch dachte, ich hätte mich hier mit einer total abseitigen und unbekannten Sekte eingelassen, kam plötzlich der Erfolg von Bob Marley and the Wailers, und Rastafari kamen groß in Mode. In einem einzigen Jahr entwickelten sie sich zum globalen Phänomen. Vor seiner Verwandlung in einen Rasta hatte Marley versucht, wie einer von den Temptations zu klingen. Er hatte bereits eine lange Karriere hinter sich, Rocksteady, Ska und so weiter, wie im Business üblich. Aber manche sagten: »Hey, gestern hatte der noch keine beschissenen Locken! Der ist erst zum Rasta geworden, als es in war!« Kurz darauf waren die Wailers zum ersten Mal in England, wo ich sie zufälligerweise in der Tottenham Court Road erwischte. Im Vergleich mit den Jungs aus Steer Town fand ich sie ziemlich lasch. Aber man muss ihnen lassen, dass sie es schnell auf die Reihe kriegten. Am Bass kam Family Man dazu, und Bob hatte offensichtlich alles, was man zum Erfolg brauchte.
Ich habe ein instinktives Gespür für Freundlichkeit ohne Hintergedanken. In Steer Town konnte ich in jedes Haus spazieren - ich wusste, man würde sich um mich kümmern. Es war eine Rundumversorgung. Sie behandelten mich, als würde ich zur Familie gehören, und so trat ich auch auf. Nein, ich trat nicht auf, ich benahm mich wie ein Familienmitglied, und bald gehörte ich wirklich zur Familie. Ich kehrte den Hof, stampfte Kokosnüsse und bereitete die Pfeifen für die Rauchsakramente vor. Mann, ich war ein größerer Rasta als die! Ich war an die richtigen Typen geraten, und an ihre Ladys. Ich fühlte mich wie in den USA auf der anderen Seite der Gleise - ich wurde akzeptiert, ich wurde willkommen geheißen in einer Kultur, die mir völlig unbekannt gewesen war.
Außerdem lernte ich ein paar nützliche Kniffe mit dem Ratchet , dem jamaikanischen Arbeitsmesser, das zum Schälen und Schneiden,
aber auch zum Kämpfen verwendet wurde. Selbstschutz »with a ratchet in your waist« - um es mit Derrick Crooks von den Slickers und ihrem Song »Johnny Too Bad« zu sagen. Ein Messer trug ich schon immer bei mir, aber dieses spezielle Messer erforderte besondere Fertigkeiten. Ich habe es öfter als Argumentationshilfe verwendet, oder um mir Gehör zu verschaffen. Mit einem kleinen Ring lässt man die Klinge einrasten; drückt man leicht drauf, kann man sie rausschnellen lassen. In diesem Spiel kannst du nur gewinnen, wenn du schnell bist. Ich wurde folgendermaßen instruiert: Wenn du die Klinge wirklich einsetzen willst, musst du als Erster einen horizontalen Schnitt an der Stirn des Gegners anbringen. Dann tropft ihm das Blut runter wie ein Vorhang, ohne dass du ihn allzu schwer verletzt hast, und er ist praktisch blind. Der Kampf ist gelaufen, und du lässt die Klinge wieder in deiner
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