Life - Richards, K: Life - Life
Tasche verschwinden, ehe irgendwer irgendwas mitbekommt.
Die zwei ehernen Grundsätze des Messerkampfes? A) Nicht zu Hause nachmachen! B) Der ganze Witz ist, die Klinge unter keinen Umständen einzusetzen. Die Klinge ist bloß zur Ablenkung da. Während er auf den blanken Stahl glotzt, trittst du ihm so in die Eier, dass er nicht mehr weiß, ob er Junge oder Mädchen ist. Und Schluss. Nur ein gut gemeinter Tipp!
Irgendwann kamen die Rastas mit ihren Trommeln zu mir; ohne dass mir bewusst gewesen wäre, dass sie damit einen unerhörten Bruch mit ihren heiligen Traditionen begingen. Wir spielten die ganze Nacht hindurch und machten Aufnahmen mit einem simplen Kassettenrekorder. Klar, dass ich mir die Gitarre schnappte und ein bisschen mitmischte. Mal gucken, welche Akkorde passen könnten … Und wieder verstießen die Rastas gegen ihre Regeln, denn sie schauten auf und sagten: »Mann, das klingt gut.« So habe ich mich ganz langsam bei ihnen eingeschlichen. Hier könnte
vielleicht eine Harmonie gut hinpassen … Stück für Stück tastete ich mich mit meiner Gitarre vor. Sie konnten mir ja ihre Meinung sagen, wenn es ihnen nicht passte. Ihre Entscheidung. Aber als ich ihnen vorspielte, wie sie auf Kassette klangen, waren sie begeistert. Sie fanden es großartig, sich selbst zu hören. Und sie hatten Recht - sie waren großartig! Hey, ihr Arschlöcher seid verdammt noch mal einzigartig!
Seitdem bin ich viele Jahre lang immer wieder nach Jamaika zurückgekehrt. Wir saßen bei mir im Wohnzimmer, und wenn ich Band und Rekorder dabeihatte, machten wir ein paar Aufnahmen. Wenn nicht oder wenn uns das Band ausging - auch gut. Die Aufnahmen waren Nebensache, in erster Linie wollten wir spielen. Ich kam mir vor wie ein Chorknabe. Ich klimperte im Hintergrund herum, in der Hoffnung, nicht unangenehm aufzufallen. Beim ersten Stirnrunzeln verstummte ich. Aber aus irgendeinem Grund akzeptierten sie mich - bis sie meinten, ich wäre eigentlich gar kein Weißer. Für meine jamaikanischen Bekannten bin ich ein Schwarzer, der sich in einen Weißen verwandelt hat, um für sie zu spionieren: so was wie »unser Mann im Norden«. Ich sehe das als Kompliment. Außen bin ich schneeweiß, worüber sich mein heimliches schwarzes Herz umso mehr freut. Aber meine fortschreitende Verwandlung von Weiß in Schwarz war keineswegs beispiellos. Schaut euch nur Mezz Mezzrow an, den Jazzer aus den Zwanzigern und Dreißigern, der quasi zu den Schwarzen übergelaufen ist. Er hat das beste Buch zum Thema »Aus Weiß mach Schwarz« geschrieben: Really the Blues . Ich für meinen Teil betrachtete es als meine Aufgabe, meine Rastafreunde auf Band zu verewigen. 1975 war es endlich so weit: Wir schafften die ganze Horde ins Dynamic Sounds. Aber mit der ungewohnten Situation im Studio kamen sie nicht klar, das war nicht ihr Revier. »Du stellst dich dahin, du dahin …« Ihnen wollte einfach nicht in den Kopf, dass sie Anweisungen
befolgen sollten. Man kann es nicht anders ausdrücken, es war ein Schuss in den Ofen. Dabei war das Studio absolut in Ordnung. Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass ich diese Typen nur bei mir im Wohnzimmer aufnehmen konnte, wo sie sich wohlfühlten, wo sie nicht ständig an die Aufnahmegeräte dachten. Dazu kam es erst zwanzig Jahre später, aber dann hatten wir den Take, den wir immer gewollt hatten, und bald danach kannte man sie als Wingless Angels.
Vor jeder Tour kam ich von den Drogen runter, aber dann drückte mir irgendwer ein bisschen Zeug in die Hand, und damit ging es wieder los. Okay, sagte ich mir, jetzt brauch ich erst mal frischen Stoff; mit dem Entzug kann ich anfangen, wenn ich ein paar Tage frei habe. Auf der Strecke kannte ich ein paar wundervolle Junkiemädchen. Ohne diese Mädchen wäre es öfter wirklich knapp geworden, sie haben mir das Leben gerettet. Und meistens waren das keine Schlampen, kein Gesindel, sondern gebildete, intelligente Frauen, die eben Drogen nahmen. Man musste nicht in der Gosse rumgraben oder im Puff. Nein, manchmal wurde man bei einer Backstage-Party fündig, oder wenn man Leute aus der Oberschicht besuchte. Oft haben sie mir das Zeug sogar von sich aus angeboten, diese herzensguten höheren Junkietöchter.
Schon damals wollte ich nicht mit Frauen rummachen, die ich nicht wirklich mochte. Das gab mir nichts. Nicht mal für ein, zwei Nächte, nicht mal, um einen sicheren Hafen in schwerer See zu finden. Teils kümmerten sie sich um mich, teils kümmerte ich mich um sie, und
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