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Life - Richards, K: Life - Life

Titel: Life - Richards, K: Life - Life Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keith Richards
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stehe, ist alles wie weggeblasen. Die Konzerte werden nie zur Routine. Es macht mir nichts aus, dasselbe Lied Jahr für Jahr immer wieder zu spielen. Selbst solche Nummern wie »Jumpin’ Jack Flash« sind keine Wiederholung, sondern jedes Mal eine neue Variation. Wenn ich das Gefühl habe, dass ein Song totgespielt ist, würde ich ihn nicht mehr bringen. Einfach so runterleiern geht nicht. Der Auftritt ist eine Befreiung für mich. Da oben zu stehen, das ist ein Riesenspaß. Ohne Durchhaltevermögen würde das natürlich alles nicht klappen. Auf einer langen Tour brauche ich die Energie des Publikums, um meine Spannung zu halten. Das ist mein Treibstoff, davon ernähre ich mich. Ich bin ein Verbrennungsmotor, vor allem wenn ich eine Gitarre umgehängt habe; und wenn die Leute von ihren Sitzen aufspringen, erfüllt mich eine unglaubliche, rasende Energie. Ja, weiter so, lasst es raus! Das ist wie bei einem riesigen Dynamo oder Generator. Es ist ein Phänomen. Irgendwann ist man abhängig - ohne ihre Energie könnte ich nicht mehr weiter, vor leeren Rängen könnte ich nicht spielen. Bei jeder Show legt Mick etwa fünfzehn Kilometer zurück, ich ungefähr die Hälfte, und das mit Gitarre um den Hals - völlig unmöglich ohne die Energie des Publikums, nicht mal im Traum. Deshalb geben wir immer unser Allerbestes, deshalb hängen wir uns stärker rein, als wir müssten. Jeden Abend ist es dasselbe. Vor der Show hocken wir mit den anderen zusammen und fragen uns: »Hey, was war noch mal der erste Song? Ach, rauchen wir lieber noch einen Joint.« Und im nächsten Augenblick stehen wir oben auf der Bühne. Natürlich wissen wir, was kommt, sonst wären wir gar nicht erst angereist. Und trotzdem schalte ich körperlich von jetzt auf gleich
ein paar Gänge hoch. »Ladies and Gentlemen, The Rolling Stones.« Seit über vierzig Jahren höre ich das jetzt, aber egal, kaum bin ich da draußen und spiele die erste Note, habe ich das Gefühl, von einem Datsun in einen Ferrari zu wechseln. Ich spiele den ersten Akkord und spüre schon, wie Charlie einsteigen und wie sich Darryl dranhängen wird. Wie der Ritt auf einer Weltraumrakete.
     
    Zwischen der Steel-Wheels-Tour und der Voodoo-Lounge-Tour, die 1994 startete, gingen vier Jahre ins Land. Wir alle hatten reichlich Zeit für andere Musik, für Soloplatten und Gastauftritte, Tribute-Alben und Heldenverehrung jeglicher Art. Nach und nach spielte ich mit fast allen Helden meiner Jugend, sofern sie noch am Leben waren: James Burton, den Everlys, den Crickets, Merle Haggard, John Lee Hooker und George Jones, mit dem ich »Say It’s Not You« aufnahm. 1993 wurden Mick und ich in die Songwriters Hall of Fame aufgenommen; Sammy Cahn hatte die Urkunde noch auf dem Totenbett unterschrieben, und das erfüllte mich mit größerem Stolz als alle anderen Auszeichnungen. Ich hatte Jahre gebraucht, um zu kapieren, dass die Songwriter der Tin Pan Alley richtig große Künstler waren. Früher hatte ich mich nicht mit ihrer Musik abgegeben, sie ging zum einen Ohr rein und zum anderen wieder raus. Erst als ich selbst Songs schrieb, fiel mir auf, wie kunstvoll ihre Songs konstruiert waren. Auch Hoagy Carmichael schätzte ich sehr. Ich werde nie vergessen, wie er mich sechs Monate vor seinem Tod angerufen hat.
    Patti und ich versteckten uns gerade für ein paar Wochen auf Barbados, als eines Abends die Haushälterin reinkam: »Mr. Keith! Mr. Michael will Sie sprechen.« Natürlich dachte ich gleich an Mick, aber sie sagte, es wäre wohl eher ein Mr. Carmichael. Carmichael? Ich kenne keinen Carmichael. Plötzlich lief es mir eiskalt über den Rücken. Wie heißt er mit Vornamen? Sie geht, kommt
zurück und sagt: »Hoagy.« Ich schaue Patti an - ein Anruf von den Göttern! Mir wurde ganz anders. Hoagy Carmichael ruft mich an? Das ist doch Verarsche! Ich gehe ans Telefon - und tatsächlich, es ist Hoagy Carmichael. Er hatte meine Version von »The Nearness of You« gehört, die ich unserem Anwalt Peter Parcher gegeben hatte; der fand die Aufnahme und mein Klaviergeklimper so gut, dass er sie an Hoagy weitergab. Ich hatte den Song im Barrelhouse-Stil gespielt und ihn mit voller Absicht komplett umarrangiert. Ich bin kein toller Pianist; ich musste improvisieren, und das ist noch nett ausgedrückt. Und plötzlich ruft Carmichael an und sagt: »Hey Junge, als ich das gehört hab, dachte ich mir: Scheiße, das hatte ich im Kopf, als ich den Song geschrieben habe!« Ich hatte Carmichael immer weit rechts

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