Life - Richards, K: Life - Life
außen eingeschätzt und konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass er was von mir hielt, geschweige denn davon, dass ich seinen Song spielte. Ich traute meinen Ohren kaum. Hoagy Carmichael! Okay, jetzt bin ich im Himmel. Ein schöner Tod. »Du bist auf Barbados?«, fuhr er fort. »Dann geh in die Bar und bestell dir einen Corn’n’Oil.« Corn’n’Oil ist ein Drink aus dunklem Black-Strap-Rum und Falernum, dem süßen Sirup des Zuckerrohrs. Zwei Wochen lang trank ich nur noch Corn’n’Oil.
Zum Abschluss der Steel-Wheels-Tour befreiten wir Prag. Zumindest kam es uns so vor. Nimm das, Stalin! Kurz nach der Revolution, die das kommunistische Regime beendet hatte, traten wir in Prag auf. »Die Panzer rollen raus, die Stones rollen rein«, verkündete eine Schlagzeile. Václav Havel, der die Tschechoslowakei erst vor ein paar Monaten im Zuge einer unblutigen Revolution übernommen hatte, war ein genialer Coup gelungen. Okay, die Panzer wären wir los, Zeit für die Stones - großartig! Wir waren froh, dass wir dabei sein durften. Havel dürfte das einzige Staatsoberhaupt sein, das eine Rede über die Rolle der Rockmusik beim Zusammenbruch
des Ostblocks gehalten hat. Darauf würden andere nicht mal im Traum kommen! Ich habe so manchen Politiker kennengelernt, aber nur auf die Begegnung mit Havel bin ich stolz. Ein wunderbarer Kerl. Als Präsident installierte er ein großes Messingteleskop in seinem Palast, das auf die Gefängniszelle gerichtet war, in der er sechs Jahre lang eingesessen hatte. »Jeden Tag schau ich da durch, um mir über die Dinge klarzuwerden.« Wir beleuchteten dann den Regierungspalast für ihn. Havel selbst hatte kein Geld dafür, weshalb wir unseren Lichtguru Patrick Woodroffe beauftragten, das Riesenschloss neu auszuleuchten. Patrick hat ihm die volle Taj-Mahal-Kur verpasst. Am Schluss überreichten wir Václav eine kleine weiße Fernbedienung mit einer Zunge drauf, und er lief durch die Räume und schaltete überall die Lichter an. Plötzlich erwachte irgendwo eine Statue zum Leben! Er war wie ein kleines Kind, drückte dauernd auf die Knöpfe und rief: »Wow!« Wann hängt man schon mal mit einem Präsidenten rum und denkt sich, Mann, ich mag den Kerl wirklich?
Jede Band lernt sich mit der Zeit immer besser kennen. Man spielt besser, tighter zusammen. Eine Band ist wie eine Kleinfamilie - wenn sich da einer verabschiedet, ist der Verlust riesig. Bei Bill Wymans Abschied 1991 wurde ich richtig patzig. Ich ging auf ihn los. Nett war das nicht. Er meinte, er will nicht mehr fliegen. Er hätte Flugangst entwickelt, zu unseren Gigs kam er nur noch mit dem Auto. Aber das ist doch keine Entschuldigung, das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich konnte es nicht fassen. Mit demselben Typen war ich in den klapprigsten Flugzeugen dieser Welt unterwegs gewesen, ohne dass er jemals mit der Wimper gezuckt hatte. Aber okay, ich schätze, so was kann sich wirklich nach und nach herausbilden. Vielleicht hatte er eine Computeranalyse durchgeführt, denn das wäre genau sein Ding gewesen. Bill war unter den ersten Computerbesitzern überhaupt, wahrscheinlich entsprach
das seinem übergenauen Geist. Und vielleicht hatte der Computer irgendwas ausgespuckt, zum Beispiel, wie schlecht die Überlebenschancen stehen, wenn man so viele Meilen in der Luft verbringt. Keine Ahnung, warum er sich so sehr mit dem Sterben beschäftigt. Ändern kann man daran sowieso nichts. Die Frage ist doch bloß, wann und wo es einen erwischt.
Und was machte er dann? Nachdem er sich einst durch eine Kombination aus Glück und Talent aus den Fesseln der Gesellschaft befreit hatte? So eine Chance bekommt vielleicht einer in einer Million, und was macht er daraus? Er stürzt sich wieder mittenrein, und noch dazu in die Gastronomie. Er steckte seine ganze Energie in einen Pub. Warum tut man so was? Warum kehrt man der verdammt noch mal besten Band der Welt den Rücken, um einen Fish-and-Chips-Laden namens Sticky Fingers zu eröffnen? Und dafür ließ er auch noch einen unserer Plattentitel mitgehen! Aber na ja, anscheinend läuft es nicht schlecht.
Ganz im Gegensatz zu Ronnies ebenso unerklärlichem Ausflug in die Welt des Gaststättengewerbes. Gastronomie ist ein einziger Alptraum, ständig muss man darauf aufpassen, dass die Leute ihre Finger aus der Kasse lassen. Josephine träumte von einem eigenen Wellnesstempel, den sie auch prompt eröffneten, aber die Sache ging furchtbar in die Hose, und übrig blieben ihnen nur die
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