Life - Richards, K: Life - Life
Kunsterziehungstradition aus der Vorkriegszeit fütterte - Radierung, Lithografie, Unterrichtsstunden über das Lichtspektrum -, um uns dann für Gilbey’s-Gin-Anzeigen zu missbrauchen. Doch damals fand ich es hochinteressant, und weil ich sowieso gerne zeichnete, war es großartig. Ich lernte eine ganze Menge. Man merkte gar nicht, dass man in Wirklichkeit zu einem von diesen sogenannten Grafikdesignern umgemodelt wurde, wahrscheinlich zum Letraset-Setzer, denn das kam erst später. Unter der Führung von ausgebrannten Idealisten wie Mr. Stone, dem Lehrer für Aktzeichnen, der eine Ausbildung an der Royal Academy genossen hatte, stolperte diese Kunsttradition vor sich hin. In jeder Mittagspause kippte er ein paar Gläser Guinness
im Black Horse und kehrte dann sehr spät und sehr besoffen in die Klasse zurück, und zwar sommers wie winters ohne Socken und nur in Sandalen. Aktzeichnen war oft zum Brüllen komisch. Irgendeine nette, dicke alte Sidcup-Dame ohne Kleider - echte Titten, hoho! - und in der Luft der schwere Guinness-Atem des Lehrers, der sich schwankend an deinem Stuhl festhielt. Als Hommage an die große Kunst und die Avantgarde, der der Fachbereich nacheiferte, zeigt uns eines der vom Direktor arrangierten Fotos angeordnet wie Figuren in dem geometrischen Garten aus Letztes Jahr in Marienbad , dem Film von Alain Resnais. Wahrlich ein Höhepunkt existenzialistischer Coolness und Überheblichkeit.
Das Kursprogramm war ziemlich lasch. Man saß seine Stunden ab, machte seine Projekte zu Ende und ging aufs Klo, neben dem es noch einen kleinen Garderoben- und Freizeitraum gab, in dem wir herumsaßen und Gitarre spielten. Das brachte mich erst richtig zum Spielen - in dem Alter nimmt man ja alles ganz schnell auf. Es gab dort massenhaft Gitarristen. Die Kunsthochschulen brachten damals ein paar bemerkenswerte Klampfer hervor, als der Rock’n’Roll in seiner englischen Spielart in Fahrt kam. Es war so eine Art Gitarren-Workshop, im Prinzip alles Folk, Zeug von Jack Elliott. Kein Mensch kümmerte sich darum, wenn einer gar nicht zur Schule gehörte, also wurde die Garderobe als Treffpunkt für die Musikszene aus der Gegend genutzt. Wizz Jones mit Jesusfrisur und Bart schaute immer wieder rein. Ein großer Folk-Gitarrist, der immer noch auftritt - ich stoße hier und da auf Anzeigen für seine Gigs, und darauf sieht er immer noch genauso aus wie damals, nur ohne Bart. Wir sind uns kaum über den Weg gelaufen, aber für mich war Wizz Jones damals einfach der Knaller! Ich meine, der Junge spielte in richtigen Clubs, gehörte zur Folk-Szene. Er bekam Geld dafür! Er spielte berufsmäßig, und wir spielten nur auf der Toilette. Ich glaube, ich habe »Cocaine« von ihm - das Lied mit dem wichtigsten
Fingerpicking-Lick damals, nicht die Droge. Niemand, absolut niemand spielte diesen South-Carolina-Stil. Er hatte »Cocaine« von Jack Elliott, aber lange vor irgendjemandem sonst, und Jack Elliott hatte es von Reverend Gary Davis in Harlem. Wizz Jones wurde genauestens beobachtet, auch von Eric Clapton und von Jimmy Page, wie es heißt.
Ich war auf dem Klo für meinen Vortrag von »I’m Left, You’re Right, She’s Gone« bekannt. Manchmal regten sie sich über mich auf, weil ich immer noch Elvis und Buddy Holly hörte. Sie verstanden nicht, wie um alles in der Welt ich das als Kunststudent neben Blues und Jazz mögen oder überhaupt was damit zu tun haben konnte. Für Rock’n’Roll, Hochglanzbilder und alberne Anzüge galt: Pfui, nicht anfassen! Für mich war es einfach Musik.
Das Ganze war sehr hierarchisch. Es war die Zeit der Mods und der Rocker. Es gab eine klare Trennungslinie zwischen den »Beats«, die der englischen Version von (traditionellem) Dixieland Jazz anhingen, und den R&B-Leuten. Wegen Linda Poitier, einer auffallenden Schönheit in Sidcup, die einen langen schwarzen Pullover zu schwarzen Seidenstrümpfen und einem schweren Lidstrich à la Juliette Gréco trug, habe ich einmal die Seiten gewechselt. Ich habe eine Menge Acker Bilk - das klassische Jazzer-Idol - über mich ergehen lassen, nur um ihr beim Tanzen zuzusehen. Und dann gab es da noch eine andere Linda, mit Brille und spindeldürr, aber mit wunderschönen Augen, der ich linkisch den Hof machte. Ein süßer Kuss. Seltsam. Manchmal brennt sich einem ein Kuss viel tiefer ein als alles, was danach kommt. Celia lernte ich bei einem Allnighter im Ken Colyer Club kennen. Sie kam aus Isleworth. Wir hingen die ganze Nacht miteinander ab, es
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