Life - Richards, K: Life - Life
sie sogar auf seinen Platten hören, »going up … going down«, aber es funktionierte. Er hatte eine solide Fangemeinde
unter den Schwarzen der Südstaaten, zeitweise sogar in der ganzen Welt. Seine Musik war eine faszinierende Übung in Selbstbeschränkung.
Minimalismus hat einen gewissen Charme. Du sagst dir, es klingt ein bisschen eintönig, aber hinterher wünschst du dir, dass es immer so weitergehen möge. Monotonie ist nichts Schlimmes, jeder muss damit leben.
Jimmy hatte großartige Titel. »Take Out Some Insurance«, nicht gerade ein alltäglicher Songtitel. Aber im Kern geht es immer darum, dass er und seine Lady sich zoffen. »Bright Lights, Big City«. »Baby What You Want Me to Do?« »String to Your Heart«. Starke Songs. Eine von Jimmys Textzeilen lautete »Don’t pull no subway, rather see you pull a train«. Was tatsächlich bedeutet: Lass die Finger vom Stoff, lass dich nicht runterziehen, ich seh dich entweder besoffen oder auf Koks. Hat mich Jahre gekostet, bis ich das entschlüsselt hatte.
Außerdem war ich schwer begeistert von Muddy Waters’ Gitarristen Jimmy Rogers und den Burschen, die Little Walter begleiteten, den Myers-Brüdern. Wenn du eine Urform des »weaving« hören willst, das waren die Meister. Die Hälfte der Band war die Muddy Waters Band, zu der auch Little Walter gehörte. Little Walter machte Platten mit Muddy Waters, hatte nebenher aber noch ein anderes kleines Team, Louis Myers und dessen Bruder David, die Gründer der Aces. Zwei großartige Gitarristen. Pat Hare spielte mit Muddy Waters und war auch bei ein paar Stücken von Chuck Berry dabei. Eine seiner unveröffentlichten Nummern hieß »I’m Gonna Murder My Baby«. Und als er genau das gemacht und danach auch noch den zum Tatort beorderten Polizisten getötet hatte, wurde der Song aus den Sun-Archiven ausgegraben. Hare wanderte Anfang der Sechziger lebenslänglich hinter Gitter und starb in einem Gefängnis in Minnesota. Zwei weitere Gitarristen waren
Matt Murphy und Hubert Sumlin. Alle spielten Chicago Blues, manche mehr solo als die anderen. Aber wenn wir uns nur auf die Arbeit im Team beschränken, dann führen eindeutig die Myers-Brüder die Bestenliste an. Jimmy Rogers und Muddy Waters, ein fabelhaftes »Weaver«-Paar. Chuck Berry ist fantastisch, aber er übernahm den Part des zweiten »Weavers« gleich selbst. Er produzierte seine eigenen, großartigen Overdubs, weil er meist zu geizig war, um einen zweiten Mann zu bezahlen. Natürlich kriegt man das nur auf den Platten zu hören, live kann man das nicht reproduzieren. Aber »Memphis, Tennessee« ist wahrscheinlich eine der unglaublichsten kleinen Overdub-Basteleien, die ich je gehört habe. Ganz zu schweigen davon, dass es ein wunderschönes Lied ist. Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig der Mann für meine eigene Entwicklung war. Es fasziniert mich noch immer, wie viele Songs er geschrieben und wie anmutig und elegant er sie gespielt hat.
Solange wir den Zähler füttern konnten, hockten wir also in der Kälte und sezierten Musikstücke. Eine neue Aufnahme von Bo Diddley kommt unters Messer. Hast du dieses Wah-Wah mitgekriegt? Was hat das Schlagzeug da gespielt, wie hart haben sie das gespielt … was haben die Maracas gemacht? Wir mussten alles auseinandernehmen und dann nach unseren Vorstellungen wieder zusammenbauen. Hörst du das? Wir brauchen ein Hallgerät. Wir brauchen einen Verstärker! Jetzt saßen wir wirklich in der Scheiße.
Bo Diddley war Hightech. Jimmy Reed war einfacher. Er war geradeaus. Aber das zu zerlegen, was er spielte, Mann! Ich brauchte Jahre, um rauszufinden, dass er den H7-Akkord - den letzten der drei Akkorde eines Zwölf-Takt-Blues, den sogenannten Dominant-Akkord, bevor man wieder zum E zurückkehrt - offen spielt. An dieser Stelle bringt Jimmy Reed einen betörenden Refrain, eine melancholische Dissonanz. Die Beschreibung dessen, was er da
macht, ist sogar für Nicht-Gitarristen interessant. Anstatt den konventionellen Barrégriff zu spielen, den H7-Akkord, der für die linke Hand ein bisschen schwierig ist, lässt er das H einfach links liegen, die A-Saite nachklingen und schiebt einen Finger über die D-Saite nach oben bis zur Septime. So gelingt ihm dieser gespenstische Ton, der gegen das offene A klingt. Man verzichtet also auf die Stammtöne zugunsten der Septime. Glaubt mir: Das ist erstens das Faulste und Schlampigste, was man in dieser Situation machen kann, und zweitens die brillanteste musikalische
Weitere Kostenlose Bücher