Life - Richards, K: Life - Life
bisschen ausgeschlossen. Erstens war er die meiste Zeit des Tages sowieso nicht da, weil er an der London School of Economics studierte. Außerdem konnte er kein Instrument spielen. Deshalb fing Mick an, Mundharmonika und Maracas zu lernen. Brian hatte sehr schnell Mundharmonika spielen gelernt, und ich glaube, Mick wollte einfach nicht abgehängt werden. Würde mich allerdings nicht wundern, wenn die Konkurrenz mit Brian von Anfang an nicht der einzige Grund gewesen wäre. Er wollte mitspielen . Und Mick entpuppte sich als fabelhafter Mundharmonikaspieler. An einem guten Abend würde ich ihn mit den Besten der Welt auf eine Stufe stellen. Was er sonst noch alles kann, weiß jeder - er ist ein großartiger Entertainer -, aber in den Augen eines Musikers ist er vor allem ein großartiger Mundharmonikaspieler. Seine Phrasierung ist unglaublich. Sehr Louis
Armstrong, sehr Little Walter. Und das will was heißen. Little Walter Jacobs war einer der besten Bluessänger und obendrein ein Blues-Harp-Spieler par excellence. Ich kann ihm nur mit Ehrfurcht zuhören. Seine Band, die Jukes, war hip und gefühlvoll. Sein Gesang wurde nur noch in den Schatten gestellt von seiner phänomenalen Mundharmonika, die sich ausgiebig auf Kornett-Licks von Louis Armstrong stützte. Little Walter würde noch im Grab lächeln, wenn er Micks Spiel hören könnte. Mick und Brian hatten einen völlig unterschiedlichen Stil - Mick saugte wie Little Walter, Brian blies wie Jimmy Reed, beide zogen die Töne. Wenn man so spielt wie Jimmy Reed, »high and lonesome« , geht einem das einfach zu Herzen. Mick ist eines der größten Naturtalente der Blues-Harp, die ich je gehört habe. Sein Spiel ist ohne jede Berechnung. »Warum singst du nicht so?« Worauf er antwortet, dass das zwei völlig verschiedene Dinge sind. Ich bin da anderer Meinung - beim Spielen wie beim Singen kommt die Luft aus dem Mund.
Unsere Band war sehr zerbrechlich. Niemand rechnete damit, dass wir es weit bringen würden. Wir waren Anti-Pop, Anti-Tanzsaal, wir wollten nichts weiter als Londons beste Bluesband sein und den Pennern zeigen, was Sache ist, weil wir wussten, dass wir das draufhaben. Und plötzlich tauchten kleine Gruppen verrückter Leute auf und unterstützten uns. Wir wussten nicht mal, woher die alle kamen oder warum oder wie sie herausfanden, wo wir gerade spielten. Wir hatten nicht gedacht, dass wir jemals was anderes tun würden, als ein paar Leute mit der Nase auf Muddy Waters, Bo Diddley und Jimmy Reed zu stoßen. Wir hatten gar nicht die Absicht, selber was darzustellen. Den Gedanken, eine Schallplatte aufzunehmen, hatten wir überhaupt nicht auf dem Schirm. Zu der Zeit hatten wir schlicht einen idealistischen Auftrag. Wir waren unbezahlte Propagandisten des Chicago Blues. In
schimmernder Rüstung. Mönchisches, intensives Studium, wenigstens bei mir. Alles, was wir taten, vom Aufstehen bis zum Schlafengehen, war lernen, zuhören, Geld auftreiben - in Arbeitsteilung. Perfekt war, wenn wir genug zum Leben hatten, ein paar Extramäuse für Notfälle, und als Krönung, herrlich, dass die Mädchen vorbeischauten, drei oder vier, Lee Mohamed und ihre Freundinnen, und für uns aufräumten, kochten und einfach da waren. Was die Mädchen damals an uns fanden? Keine Ahnung.
Uns interessierten nur zwei Sachen auf der Welt: dass wir den Stromzähler am Laufen hielten, und dass wir im Supermarkt genug Essen klauen konnten. Frauen rangierten erst an dritter Stelle. Strom, Essen und dann, na ja, Glück gehabt. Wir mussten arbeiten, wir mussten üben, wir mussten Musik hören, wir mussten tun, was wir tun wollten. Es war ein Wahn. Die Benediktiner waren nichts gegen uns. Wer das Nest verließ, um eine Nummer zu schieben oder versuchte, eine Nummer zu schieben, war ein Verräter. Es wurde erwartet, dass man seine gesamte wache Zeit dem Studium von Jimmy Reed, Muddy Waters, Little Walter, Howlin’ Wolf und Robert Johnson widmete. Das war unser Gig. Jeder Augenblick, der dieser Aufgabe vorenthalten wurde, war Sünde. In dieser Atmosphäre, mit dieser Einstellung lebten wir. Die Frauen um uns herum waren tatsächlich nur Randerscheinungen. Der Drive innerhalb der Band, zwischen Mick, Brian und mir, war erstaunlich. Wir studierten unaufhörlich. Nicht im akademischen Sinn, es ging vielmehr darum, das Wesen der Musik zu erfühlen . Und dann wurde uns wie allen jungen Kerlen klar, dass man den Blues nicht im Kloster lernen kann. Du musst rausgehen und dir das Herz brechen
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