Life - Richards, K: Life - Life
Abstecher in den Mittleren Westen schlug dann Brians Asthma zu. Er landete in einem Chicagoer Krankenhaus. Natürlich übernahm ich seine Parts. Ich meine, hey, der Kerl war krank! Dann sahen wir Bilder von seinem Highlife in Chicago: Brian mit Soundso auf einer Party, Brian mit einer albernen Fliege um den Hals, wie er irgendwelche Stars anglotzt. Da hatten wir schon drei, vier Gigs ohne ihn hinter uns. Für mich hieß das: Doppelschichten schieben. Wir waren schließlich nur zu fünft, und der Witz der Band war nun mal, dass sie zwei Gitarristen hatte. Und plötzlich war es nur noch einer. Ich durfte die Songs ganz
neu austüfteln, ich musste Brians Part mit einbauen. Natürlich habe ich dabei eine Menge gelernt - wie man zwei Parts auf einmal spielt, wie man die Essenz eines anderen Parts herausarbeitet, ohne den eigenen zu vergessen, und dabei noch ein paar Licks unterbringt. Aber das war hart, verdammt hart. Er hat sich nie bedankt, dass ich ihm den Rücken freigehalten habe, nicht ein einziges Mal. Es war ihm scheißegal. »War einfach neben der Spur«, meinte er, und das war’s. »Kriege ich meine Kohle?« Ab dem Punkt hatte er bei mir verschissen.
Auf Tour kann man ziemlich sarkastisch werden. Richtig böse. »Halt’s Maul, du blöder Sack. Mir ging’s besser, als du nicht da warst.« Brian hatte die schlechte Angewohnheit, ständig vor sich hinzulabern, lauter nervtötendes Zeug: »Als ich mit Soundso gespielt habe …« Die Promis hatten ihm wirklich den Kopf verdreht. »Gestern hab ich Bob Dylan getroffen. Er kann dich nicht leiden.« Brian war unerträglich und merkte es kein bisschen. »Ach, halt doch die Klappe, Brian.« Mit solchen Sticheleien ging es los. Manchmal machten wir nach, wie er den Kopf einzog. Die nächste Stufe waren kleine Streiche. Brian besaß einen fetten Humber Super Snipe, eine Riesenkarre, und das, obwohl er ziemlich klein war. Um über das Lenkrad zu gucken, musste er ein Kissen auf den Sitz legen. Spaßeshalber versteckten Mick und ich das Kissen - Schülerstreiche, aber von der bösen Sorte. Wir lümmelten hinten im Bus rum und lästerten, als wäre er gar nicht da. »Weißt du, wo Brian ist? Scheiße, hast du gesehen, was er gestern für ein Zeug anhatte?« Einerseits lag es an der vielen Arbeit, andererseits hofften wir, er würde durch unsere Schocktherapie wieder zu sich kommen. Eine Auszeit war nicht drin, wir konnten nicht sagen, hey, reden wir mal in Ruhe darüber. Es war eine Hassliebe. Manchmal war Brian ein wirklich witziger Kerl, mit dem ich gerne rumhing. Zum Beispiel wenn wir rätselten, wie
Jimmy Reed, Muddy Waters oder T-Bone Walker dieses oder jenes angestellt hatten.
Über eins kam er wohl wirklich nicht hinweg: dass Mick und ich die Songs schrieben. Damit hatte er seine Sonderrolle verloren, und bald verlor er auch das Interesse an der Band. Ins Studio zu gehen, um einen Song von Mick und mir einzustudieren - das hat er nicht verkraftet. Es war wie eine offene Wunde. Sein einziger Ausweg war, sich entweder an mich oder an Mick dranzuhängen, was auf eine Art Dreiecksbeziehung hinauslief. Er hatte uns alle auf dem Kieker, Andrew Oldham, Mick und mich. Wir hätten uns gegen ihn verschworen, glaubte er, wir wollten ihn rausekeln. Totaler Quatsch, aber irgendwer musste nun mal die Songs schreiben. Und bitte, wenn du willst, gerne, ich hocke mich gerne hin und schreibe einen Song mit dir. Was hast du denn so für Ideen? Aber wenn ich mich mit Brian zusammensetzte, sprang kein Funke über. Bis er meinte: »Ich hab keine Lust mehr auf Gitarre. Ich will Marimba spielen.« - »Klar, Kumpel, mach mal. Übrigens steht die nächste Tournee an.« Irgendwann rechneten wir schon fast automatisch damit, dass er nicht auftauchte, und wenn er doch mal vorbeischaute, grenzte es an ein Wunder. Sofern er tatsächlich mal da war - und aus seinem Tiefschlaf erwachte -, war er unglaublich vielseitig. Mit jedem Instrument, das irgendwo herumlag, konnte er was anfangen. Die Sitar auf »Paint It Black«, die Marimba auf »Under My Thumb«. Aber die nächsten fünf Tage ließ sich der Hurensohn dann wieder nicht blicken, und unsere Platte war noch lange nicht fertig. Das Studio war gebucht, aber wo steckte Brian? Keiner hatte eine Ahnung, und wenn er dann doch mal aufgestöbert wurde, war oft nichts mit ihm anzufangen.
In seinen letzten Jahren bei den Stones spielte Brian kaum noch Gitarre. Wir hatten zwei Gitarren, das war der Mittelpunkt der Band, daraus ergab sich der ganze Rest,
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