Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
gefährlich. Von den Briefen, die Incon zum Eingreifen veranlasst haben, gehen immer noch welche ein – ich hab sie mitgebracht.« Sie zog die Briefe und den Dolch aus der Tasche ihrer Panzerweste und hielt ihm beides hin.
Er nahm die Sachen, wobei er das Messer nicht berührte, sondern vorsichtig auf den Briefen balancierte. Dann legte er alles aufs Lesepult und verteilte die Briefe mit dem Zeigefinger. Während er sie genauer inspizierte und den ersten aus dem Umschlag zog, fuhr Lila fort:
»Ich kann keine magische Schrift lesen, trotz all unserer Unterrichtsstunden. Ich kann es einfach nicht, und ich glaube nicht, dass er mir sagt, was wirklich drin steht. Und das Messer …« Sie erzählte von dem nächtlichen Vorfall, während Sarasilien einen Brief nach dem anderen las. Er kontrollierte sich so streng, dass nicht einmal ein Zucken seiner Ohren verriet, was in ihm vorging. Aber er atmete jedes Mal erleichtert auf, wenn er einen Brief wieder weglegen konnte.
Über die Messersache erzählte sie ihm nicht alles. Nicht, wie Zal sie berührt und was er gesagt hatte. Sie wollte Sarasilien per Willenskraft zwingen, es selbst zu erraten, damit sie nicht gestehen musste, wie dumm sie sich verhalten hatte, damit ihr die Schande erspart blieb, von dem Job abgezogen zu werden. Aber ihre Willenskraft war nicht erfolgreicher als ihre Bemühungen in Sachen Magie.
Sarasilien inspizierte den Dolch sehr genau. Er sprach mit ihm, und Lila sah, wie auf seinen Befehl Wörter aus dem Inneren des Metalls an die Oberfläche stiegen. Schwarz-silberne Schatten glitten die Schneide entlang, tropften von der Dolchspitze und lösten sich rasch in Luft auf. Als er an den Tisch trat, um das Messer wegzulegen, zuckte es in seinen Fingern, und sie hörte ihn kurz und scharf einatmen.
Blut rann jetzt zusammen mit dem Schwarz und Silber die Klinge hinunter, und das Orangerot des Elfenbluts wurde zu Tiefrot, als die Tropfen und die Magie, die ihnen anhaftete, auf die Briefe fielen. Sofort gingen sämtliche Blätter in Flammen auf.
Sarasilien sagte nur ein einziges Wort, und die brennenden Blätter und das blutige Messer gefroren in Raum und Zeit wie auf einem Foto. Murmelnd ging er in den angrenzenden Waschraum, um seinen Finger zu versorgen. Als er wiederkam, setzte er sich in den anderen Gästesessel und sah Lila in die Augen. Er schien sehr betrübt, und sie machte sich auf Schlimmes gefasst. Sie hatte ihn noch nie einen Fehler machen sehen, und obwohl die Schnittwunde klein und der Schlafzauber schon verbraucht war, hatte sie Angst.
»Es war gut, dass Sie das alles hierher gebracht haben. Auf der Klinge lag ein Zauber, der bewirkte, dass sie in Elfenfleisch schneiden wollte. Ein Zauberer höherer Ordnung, höher als Stufe Sieben. Wenn das Messer in Zals Nähe gelangt wäre, hätte es mit Sicherheit mehr angerichtet, als ihn nur einzuschläfern. Aber Sie sagen, eine Elfe hat das Messer bei sich getragen und gegen Sie benutzt?«
»Das hat Poppy … das hat die Fee gesagt. Aber die beiden waren Komplizinnen. Vielleicht hat sie ja gelogen.«
»Das Messer hat mehr als nur einen Elfenzauber an sich«, sagte Sarasilien und drückte sachte mit dem Daumen auf den verletzten Finger. Seine Miene war traurig. Lila spürte, dass er den nächsten Satz genau abwog, um sie nicht zu sehr zu beunruhigen. Oder vielleicht auch aus politischen Gründen. Das Schweigen von Incon-Leuten war noch undurchschaubarer als das normale elfische Schweigen.
»Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, ehe ich das alles mit meinen Vorgesetzten besprochen habe«, sagte er. »Nur so viel, dass es nichts mit Rassenhass oder mit der Verderbtheit der Musikindustrie zu tun hat. Es stellt sich so dar, selbst über die Daga, aber die stehen nur im Dienst anderer Zwecke.«
»Ich dachte, die Daga dienen Alfheim und dessen Zwecken«, sagte Lila enttäuscht. Sie ignorierte die Angst, die sie bei seinen Worten durchzuckt hatte wie ein Blitz.
»Das wollen sie uns glauben machen«, sagte Sarasilien. Er sah jetzt so bekümmert aus, dass es Lila wirklich beunruhigte.
»Stimmt es denn nicht?«
»Möglich.«
Lila sah, wie er sich in einem Labyrinth von Gedanken verlor. Zaghaft berührte sie ihn am Arm, dem mit dem verletzten Finger. »Möchten Sie’s mir erzählen?«
Er sah auf ihre Hand, lächelte dieses leise Lächeln, das nie wirklich fröhlich war, weil es zu viele Jahre in sich trug. »Ich kann nicht. Ich werde es tun, sobald ich kann.«
»Dann sagen Sie mir wenigstens, ob es was
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