Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
voller Hass. Ich konnte ihn fühlen, weil es überall war, dieses Andalun … Ich konnte Dar hören. Seine Verachtung gegenüber Menschen, seinen Abscheu vor Dämonen, seine Angst … er hatte vor vielen Dingen Angst. Er hatte Angst vor seinem eigenen Zauber. Was mit mir passierte, drehte ihm schier den Magen um. Wenn er mich danach angeschaut hat, konnte ich jedes Mal sehen, wie sehr er sich wünschte, ich würde nicht existieren. Er fragte mich immer wieder, was genau wir gesehen hätten, und ich sagte nichts, weil wir nichts gesehen hatten, und er war unheimlich wütend. Ich hätte ihm ja alles gesagt. Wenn sie mich nicht gebraucht hätten, um mich auszufragen, wäre ich längst tot gewesen. Da bin ich mir sicher. Dar hielt mich am Leben. Solange ich bei Bewusstsein war, stellte er mir die ganze Zeit Fragen.«
Lila hielt inne. Sie sah sich in dem Hotelzimmer um. Nebenan hörte sie Musik und Stimmen. Sie sah auf ihre Zeitanzeige und stellte fest, dass eine Stunde vergangen war.
»Hat er Sie dort im Wald wiedererkannt?«, fragte Dr. Williams.
»Ja«, sagte Lila, dankbar für Dr. Williams’ ruhige Art, die es ihr ermöglichte, ebenfalls ruhig zu bleiben. »Und dann hat er auf mich geschossen … Ich wollte sagen, was es noch schlimmer gemacht hat, war, dass Dar … dass er so gut aussieht, aber das klingt so lächerlich. Warum sollte es das noch schlimmer machen? Aber es ist so. Als ich ihn angesehen habe, konnte ich sehen, wie schön er war, und er sah nur, wie abstoßend ich war. Er konnte mich fühlen, weil sein Zauberpfeil mit seinem Andalun geladen war, und er konnte es nicht ertragen. Ihm wurde ganz übel davon.« Lila stieß die letzten Worte hervor und biss dann die Zähne zusammen. Sie fühlte sich, als hätte sie Säure verschluckt. In der Situation selbst, in der Hitze des Kampfes, hatte sie es gar nicht bemerkt, aber jetzt, wo sie es laut aussprechen musste, war ihr Gehirn nur allzu bereit, klare Details zu liefern.
»Danke, Lila«, sagte Dr. Williams. »Sie sollten sich jetzt ausruhen. Sie müssen sehr müde sein.« Sie hatte jetzt wieder ihren gütigen Ton.
»Ja, das werde ich tun«, sagte Lila. Sie verdächtigte Dr. Williams nicht wirklich, Hypnose einzusetzen, aber dieser Ratschlag war ihr so unendlich willkommen. Sie ging zum Bett, legte sich auf die Decke, nahm ein Kissen in den Arm und machte die Augen zu. Aber es half nicht. Es tat ihr nicht gut. Sie fühlte sich nur noch mieser. Sie hörte Poppy drüben lachen: Es gab keine fröhlicheren Laute als Feenlachen, so giggelig und ein bisschen irre, und Lila fühlte, wie sich ihr Mund unwillkürlich zu einem Lächeln verzog.
Sie ging ihr inneres Medikamentenregister durch. Da musste es doch etwas geben, was sie unbesorgt nehmen konnte, etwas, das bewirken würde, was ihr albernes Songtext-Spielchen mit Zal hatte bewirken sollen – ihr ein Gefühl der Kontrolle zu geben. Nichts Starkes. Nichts, was ihre Reaktionen verlangsamen oder ihren Verstand trüben würde – sie ging die ZNS-Stimulanzien durch, ein Medikamentensortiment für volle Kampfbereitschaft, für Situationen, in denen sie ihr menschliches Selbst so weit aufputschen musste, dass es mit der Maschine mithalten konnte. Davon konnte sie etwas nehmen.
»Hey, Lila«, sagte Poppy in der Tür. »Wir lassen uns was zu essen kommen. Willst du auch was?«
»Nein«, sagte sie. »Ich meine, ja, gern, wenn ihr meint.«
»Alles okay mit dir?«
»Ja. Nett von dir, dass du fragst.« Lila setzte sich auf und wischte sich Tränen vom Gesicht.
»Irgendwas Schlimmes?« Die Fee kam zaghaft näher.
»Nur beruflicher Kram. Mach dir keine Sorgen. Ich bin nur müde. Du weißt ja.«
»Klar, Schätzchen«, sagte Poppy. »Er ist schwierig.«
Ausnahmsweise machte Lila nicht mal den Versuch, irgendetwas richtigzustellen. »Ihr habt in einer Stunde Soundcheck.«
»Ich weiß. Wir essen nur noch und gehen dann. Willst du wirklich nichts zu trinken?«
»Wasser.«
»Kommt.«
Lila nutzte die Zeit, um ihr Gesicht zu waschen und in einen halbwegs präsentablen Zustand zu bringen. Sie fühlte sich seltsam euphorisch, weil sie doch nichts genommen hatte und immer noch einsatzfähig war. Den Rest des Tages wich sie Zal aus. Sie eskortierte ihn mit ihrer dunklen Brille wie irgendein dämlicher Bodyguard, hielt die Leute auf Distanz und erledigte mit Jolene all die langweiligen Dinge, die getan werden mussten: Zeitpläne, Fahrzeuge, Green Rooms, Backstage-Kontrollen, die Besprechung mit der lokalen Security, um
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