Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
Wachen imstande waren, sich unbemerkt an ihn heranzuschleichen, aber offensichtlich hatten sie entweder dazugelernt, oder aber seine Sensibilität für das ständige Flüstern des alfheimischen Äthers hatte beträchtlich nachgelassen. Wahrscheinlich Letzteres, dachte er brummig. Die Wachen sahen ihn nicht an – sie trugen Knochenplattenhelme, die ihre Gesichter fast ganz verdeckten. Sie rissen ihm augenblicklich die Jacke herunter und durchsuchten ihn nach Amuletten oder Waffen. Er nahm bei beiden keine Spur von Andalun wahr, also waren sie in der Lage, ihren Ätherleib von ihm fernzuhalten. Er war sich nicht sicher, ob sie es aus Respekt vor seiner potenziellen Gefährlichkeit taten oder einfach nur aus Abscheu vor der Veränderung seines Andalun durch seinen Wesenswandel.
Ariës Stimme sagte ruhig: »Es ist Zeit, dass du zur Rechenschaft gezogen wirst, Suhanatir. Im Namen aller Häuser Alfheims verhafte ich dich wegen Verrats.«
»Ich heiße Zal«, sagte er ins Leere. Er wünschte, der Klang seines alten Namens hätte keine Macht, aber Arië kannte beide Teile, seinen Individualnamen und seinen Kastennamen: Suhanatir Taliesetra. Das einzig Positive war, dass sie seinen wahren Namen nicht mehr kannte. Einst, als er noch durch und durch Elf gewesen war, hatte sie ihn gekannt, aber dieser Name war verfallen, als er in Dämonia gewesen war, und jetzt hatte er einen neuen. Aber er kannte ihren vollständigen Namen auch nicht. Arië war nur ein Teil davon, so wie Zal nur ein Teil von seinem war. Solange sie nicht alle drei Namensbestandteile in Folge aussprechen konnten, hatten sie keine Macht übereinander.
Die Wachen banden ihm wortlos die Arme hinterm Rücken. Einer streckte wortlos eine behandschuhte Hand aus und berührte die Wand der Zelle. Sie erzitterte und wölbte sich so in die dunkleren Wasser des Sees hinaus, dass der Ansatz eines Gangs entstand. In ihrer eigenen kleinen Luftblase, die sich immer wieder vor ihnen ausdehnte und hinter ihnen zusammenzog, marschierten sie durchs Wasser.
Etwas Mächtigeres als ein Wassermammutbaum ragte jetzt in dem trübgrünen Dunkel empor. Zal sah eine Luftblase wie ihre eigene, nur größer, und dahinter noch weitere und immer noch mehr. In Klumpen saßen sie wie überdimensionaler Froschlaich im Geäst des Unterwasserwaldes. Die silbrigen Kugeln waren überall, über und unter ihnen. Ihre Blase näherte sich einer anderen und heftete sich an sie. An der Kontaktstelle öffnete sich ein Durchgang, und die Wachen führten ihn immer weiter.
Der Aparastilpalast war in seiner Abwesenheit um ein Vielfaches erweitert worden. In seiner Erinnerung war er ein Haus an einem See, vornehm und ein bisschen groß für die Familie vom Wasser, die dort wohnte, aber doch nicht mehr als ein Herrenhaus. Diese Hallen aus gefangener Luft mit den Wasserkaskaden und Springbrunnen, durch Zauber gezähmtes Sonnen- und Mondlicht illuminiert, waren ihm völlig neu. Wie bei allen derartigen Prunkbauten suggerierte die schiere Verschwendung von Kräften und Mitteln eine Extravaganz und eine Macht, mit der man niemals mithalten konnte. Diese Pracht sollte bewirken, dass sich jeder, der von außen kam, klein und mickrig fühlte. Und das schaffte sie auch, dachte Zal, als sie am Ziel ihrer Wanderung angelangten – jedenfalls im Verein mit den hünenhaften Wachen, ihren mächtigen, magischen Breitschwertern und dem riesigen Gerichtssaal, gefüllt mit den Edlen Alfheims, die, feierlich gewandet und nach Rang gestaffelt, an ihren Plätzen standen und mit ernster Miene auf ihn herabsahen, als er in die Mitte des großen Ovals geführt und dort allein gelassen wurde.
Er sah Arië an, die erhöht auf dem Platz des Magus saß, in der Position des obersten Richters, die ihr, wie er wusste, nicht zukam. Er bemerkte aus dem Augenwinkel verschiedene leere Plätze zu beiden Seiten und wusste, ohne genau hinzusehen, dass dort seine Familie und seine Kastenangehörigen hätten sitzen sollen. Außerdem fehlten Freunde oder Leute, auf deren Loyalität er vertraut hatte.
Arië war so schön, wie es Zauberkraft irgend zu bewirken vermochte, und sie war auch vorher schon hübsch gewesen mit ihrer Haut wie blanchierte Mandeln, den dunklen rotbraunen Locken und seelenvollen blauen Augen. Sie strahlte jugendliche Schönheit, Zauber und Liebreiz aus. Es war wirklich ein Jammer.
Für Schüchternheit war jetzt nicht der Moment. Zal stemmte die Hände in die Hüften und sah ostentativ in die Gesichter aller Anwesenden, ehe
Weitere Kostenlose Bücher