Liliane Susewind – Delphine in Seenot (German Edition)
wiederkommen. Bonsai hatte Lilli immer wieder gefragt, wo das Wasser hingegangen sei. Doch für Frau von Schmidt, die ihnen beim Stöckchenwerfen zusah, war die Sache glasklar: Sie hatte Lilli aufgetragen, die »Nordsee-Wasserwiese« zu entfernen, und obwohl Lilli sich anfangs geziert hatte, schien die köstliche Maus sie überzeugt zu haben. Das Meer war fort, und die Katzendame war sehr zufrieden gewesen.
Doch nun war das Wasser mit der Flut zurückgekommen. Als sie auf das nachtdunkle Meer sahen, schien Bonsai der Mut zu verlassen. »Das Wasser geht rauf und runter«, ächzte er.
»Das sind Wellen. Das ist nicht gefährlich, glaube ich.« Lilli legte ihren Bademantel ab. »Kommst du nun mit, Bonsai?«
Der winzige Hund lief unruhig ein paar Schritte auf und ab, während Lilli an der Leiter hinabzusteigen begann.
»Na gut, komme schon!«, bellte Bonsai leise und trippelte zu Lilli. Sie nahm den kleinen weißen Fellball unter den Arm und kletterte ins Wasser. Die Wellen schwappten eisig gegen ihren Körper, und Lilli erschauderte. Aber diesmal würde nichts sie aufhalten! Entschlossen ließ sie Bonsai los, und der Hund fing sofort an, mit den Beinchen zu strampeln. Er ruderte einfach mit allen vieren durchs Wasser. Das Ganze sah kinderleicht aus.
Lilli atmete tief durch und raffte all ihren Mut zusammen. Sie war kein Feigling. Sie würde jetzt und hier schwimmen.
Bonsai hechelte vor sich hin. »Guck mal, Lilli! So!«
Lilli ließ die Leiter los. Im ersten Augenblick hatte sie das Gefühl zu sinken. Aber dann begann sie mit den Beinen zu strampeln, genau wie Bonsai. Erstaunlicherweise hielt sie das über Wasser. Gleichzeitig paddelte sie mit den Armen, wie ihr Hund mit den Vorderpfoten. Und es klappte, sie schwamm! »Bonsai!«, rief sie jubelnd. »Ich schwimme!«
»Ja!«, kläffte der Hund zurück. »Bist du jetzt fröhlich?«
Lilli lachte. »Ja, ich bin fröhlich!« Sie merkte zwar schnell, wie anstrengend das Schwimmen war, aber es kümmerte sie nicht. Sie hatte es geschafft! Übermütig paddelte sie drauflos und genoss ihren Triumph in vollen Zügen. Über ihr leuchtete der Mond, und Tausende von Sternen blinkten am Himmel. Die Nacht war wunderschön, und Lilli fühlte sich wie ein kleiner Fisch. Da warf sie einen Blick zurück und erschrak. Sie war viel weiter weg vom Steg als sie gedacht hätte. Bonsai war nur noch als kleiner weißer Tupfer im dunklen Wasser zu erkennen.
»Bonsai?« In Lillis Stimme schlich sich Angst.
»Hier, Lilli! Kommst du bald wieder?«
Lilli begriff, was geschehen war, und rang entsetzt nach Luft. Sie war zu weit hinausgeschwommen! Hier gab es eine starke Strömung, die sie immer weiter auf das offene Meer hinauszog. »Mist!«, entfuhr es ihr, und mit einem Mal schlug ihr Herz hart und schnell gegen die Rippen. Sie beschleunigte ihre Strampelbewegungen, aber anstatt dem Steg näher zu kommen, entfernte sie sich immer weiter von ihm.
»Lilli? Alarm?«, kläffte Bonsai ängstlich.
»Ja, Bonsai. Alarm!«, schrie Lilli. Sie war inzwischen von der Strömung so weit fortgezogen worden, dass sie Bonsai kaum noch hören konnte. »Alarm!«
Lilli glaubte zu erkennen, dass sich der kleine weiße Tupfer, der zwischen den Wellen schaukelte, langsam in Richtung des Ufers entfernte. Bonsai konnte natürlich nicht allein an der Leiter hinaufklettern. Er musste es bis zum Strand schaffen. Hoffentlich war er stark genug dazu, und hoffentlich konnte er rechtzeitig Hilfe holen!
Lilli ruderte hilflos im Wasser und spürte, dass ihre Kräfte langsam nachließen. Eine Welle nach der anderen schlug ihr ins Gesicht, und ihre Arme und Beine wurden schwerer und schwerer. Ihr kam der entsetzliche Gedanke, dass sie ertrinken könnte.
Plötzlich hörte sie ein keckerndes Lachen. Doch nein, es war kein Lachen, es waren Worte. Oder irrte sie sich?
»Das Menschenkind schwimmt wie ein Hund«, glaubte Lilli eine Stimme sagen zu hören. »Warum macht es das?«
»Es klappt nicht besonders gut«, antwortete eine zweite Stimme. »Das Kind wird untergehen, wenn es so weitermacht.«
Lilli blickte sich nach allen Seiten um, doch sie sah nichts. Sie hatte kaum noch genug Energie, gegen das Wasser anzukämpfen, und konnte vor Angst kaum einen klaren Gedanken fassen.
»Wir müssen ihr helfen, sonst ertrinkt sie«, sagte eine dritte Stimme ganz nah an ihrem Ohr. Lillis Kopf fuhr herum. Da, direkt neben ihr, schwamm ein Delphin! Sie konnte es kaum fassen. Bildete sie sich das vielleicht nur ein? Nein, es war
Weitere Kostenlose Bücher