Liliane Susewind – Ein Pinguin will hoch hinaus (German Edition)
zudem bemerkt, dass ihre grauen Strähnen verschwunden waren! Offenbar färbte sie sich neuerdings das Haar. Jesahja war es auch, der herausgefunden hatte, dass die Blumen, die die Direktorin im obersten Knopfloch ihrer Jacke trug, immer die waren, die Herr Grimm-Hartmüller ihr zum letzten Rendezvous geschenkt hatte.
Da erschien der letzte Wagen für heute! Während er vorfuhr, fragte Lilli Frau Essig-Steinmeier: »Und wer kommt jetzt?«
Die Direktorin steckte die Nase in ihre Unterlagen. »Ein Brillenpinguin aus Japan. Name: Yuki«, las sie vor. »Extrem selbstmordgefährdet.«
»Was?«, stieß Jesahja verblüfft hervor.
Frau Essig-Steinmeier legte die Unterlagen beiseite und verschränkte die Hände hinter dem Rücken. »Ich habe letzte Woche mit dem Direktor des Tierparks in Japan telefoniert, in dem Yuki bisher gelebt hat. Er klang ziemlich niedergeschlagen. Der Pinguin ist in seinem Gehege offenbar immer wieder auf eine hohe Mauer geklettert und hat sich von dort hinuntergestürzt.«
Bei dieser schrecklichen Vorstellung sog Lilli scharf die Luft ein.
»Dabei hat er sich wohl auch schon verletzt«, fuhr die Direktorin fort. »Niemand weiß, warum er immer wieder in die Tiefe springt.« Sie schnalzte nachdenklich mit der Zunge. »Es wäre toll, wenn du das herausfinden könntest, Liliane.«
Lilli drehte angestrengt eine ihrer Locken um den Finger. Das war eine große Verantwortung!
Frau Essig-Steinmeier sah Lilli genau an. »Wenn es dir zu viel wird, musst du es mir sagen«, bat sie in ungewöhnlich sanftem Ton. »Du kannst auch jederzeit nach Hause gehen, wenn du möchtest.«
»Nein, schon gut«, wehrte Lilli ab. Sie wollte auf keinen Fall nach Hause gehen! »Ich hoffe nur, dass ich dem Pinguin helfen kann.«
Jesahja lächelte Lilli aufmunternd an.
Da brachten ein paar Leute, die den Pinguin anscheinend am Flughafen abgeholt hatten, eine Holzkiste in die Anlage. Frau Essig-Steinmeier sprach mit ihnen, und dann fuhren sie auch schon wieder davon.
Lilli kniete sich vor die Holzkiste und öffnete sie selbst, da Finn gerade den leeren Garneleneimer wegstellte. Das Herz klopfte ihr vor Nervosität bis zum Hals. Einen selbstmordgefährdeten Pinguin lernte man nicht alle Tage kennen!
Mit kribbeligen Händen schob sie den Deckel zur Seite. Der kleine Brillenpinguin hatte sich in eine Ecke gedrängt und sah Lilli mit großen Augen an. Sein Blick rührte sie. Dieses Tier sah aus, als sei es zutiefst unglücklich.
»Hallo, Yuki«, sagte Lilli mit belegter Stimme. »Willkommen.«
»Du kannst sprechen!« Yuki kam einen Schritt auf Lilli zu. »Ich hab noch nie einen Menschen getroffen, der sprechen kann.«
»Ja, ich … ich heiße Lilli.«
»Lilli. Das klingt schön.«
Lilli lächelte. Der kleine Pinguin hatte eine leicht heisere, piepsende Stimme und klang, als sei er noch sehr jung. Seine Augen wirkten jedoch nachdenklich, beinahe weise. Und sehr traurig. »Du brauchst keine Angst zu haben«, sagte Lilli. »Hier sind alle sehr nett.«
»Stimmt«, bellte Bonsai, der pitschnass neben Lilli auftauchte. Im nächsten Augenblick schüttelte sich der Hund, und Lilli zog instinktiv den Kopf ein. Während sie sich mit einem Taschentuch das Gesicht abwischte, stellte sich Bonsai auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfoten über den Rand der Kiste. »Ah, noch ein Ping und ihn!«, freute er sich. »Top.«
»Ein Hund!«, murmelte der Pinguin seinerseits und schien zu überlegen, ob er fliehen sollte.
»Er tut dir nichts!«, versicherte Lilli. »Er möchte dich nur kennenlernen. Wir alle würden das gern!«
»Sag ihm, dass ich schon dickstens mit den anderen beiden Ping und ihns befreundet bin«, kläffte Bonsai. »Aber mein Herz ist groß. Da passen viele Pingfreunde rein!«
Plötzlich stemmte auch Frau von Schmidt die Vorderpfoten auf den Rand. Interessiert schaute sie ins Innere. »Hach, diese possierlichen Geflügelherrschaften sind wirklich äußerst ansehnlich!«, miaute sie angetan. »Dieser hier scheint zudem grandiose Abenteuer überstanden zu haben.«
Lilli zog die Stirn kraus. »Warum glauben Sie das?«
»Nun, seine Narben künden von ruhmreichen Kämpfen und sensationellen Gefahren!«
Da sah Lilli es auch. Auf Yukis Körper prangten zahllose Narben! Am Hals, am Bauch, an den Schultern – sein Körper war übersät davon!
Die Gegenwart der Katze schien dem kleinen Brillenpinguin nicht ganz geheuer zu sein, und so hopste er mit einem Satz aus der Kiste. Aufmerksam schaute er sich um. »Hier lebe
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