Lilien im Sommerwind
Was machst du da?« Cade kam den Weg heruntergerannt. Sein Vater hatte ihn am Eingang zu Beaux Reves abgesetzt und ihm für den restlichen Samstag freigegeben, und er hatte an nichts anderes denken können, als möglichst schnell zu seinem Fahrrad zu kommen und zum Sumpf zu radeln, um sich dort mit Wade und Dwight zu treffen.
Und jetzt lag sein altes, geliebtes Dreigang-Fahrrad kaputt am Boden und seine kleine Schwester kauerte daneben.
»O Mann, sieh dir das an! Die Farbe ist abgegangen.
Verdammt!«, zischte er leise. Er hatte gerade erst damit begonnen, heimlich zu fluchen. »Du durftest mein Fahrrad nicht nehmen. Du hast selbst eins.«
»Bloß ein Babyfahrrad.« Tränen strömten über Hopes schmutzige Wangen. »Mama erlaubt nicht, dass Papa die Stützräder abmacht.«
»Na ja, klar, warum wohl!« Erbost hob Cade sein Fahrrad auf und warf ihr einen überlegenen Blick zu. »Geh rein und lass dich von Lilah waschen. Und rühr meine Sachen nicht an.«
»Ich will es doch nur lernen.« Sie wischte sich den Rotz unter der Nase weg und sagte trotzig: »Ich könnte genauso gut Fahrrad fahren wie du, wenn es mir jemand beibrächte.«
»Ja, klar.« Schnaubend schwang er ein Bein über die Stange. »Du bist doch nur ein kleines Mädchen.«
Empört sprang sie auf. »Ich werde aber größer«, erwiderte sie wütend. »Ich werde größer und dann fahre ich schneller als du oder irgendjemand sonst. Und dann wird es dir Leid tun.«
»Oh, ich zittere vor Angst.« Erheitert blickte er sie aus seinen tiefblauen Augen an. Wenn ein Junge schon mit zwei kleinen Schwestern gestraft war, dann konnte er sich wenigstens schadlos halten, indem er sie neckte. »Ich werde immer größer sein, ich werde immer älter sein. Und ich werde immer schneller sein als du.«
Ihre Unterlippe bebte, ein sicheres Zeichen dafür, dass noch mehr Tränen im Anmarsch waren. Er zuckte höhnisch mit den Schultern und begann, den Weg entlangzufahren, wobei er kleine Kunststückchen vollführte, um seine überlegenen Fähigkeiten zu demonstrieren.
Als er sich breit grinsend umsah, um sich zu vergewissern, dass sie es mitbekommen hatte, stand sie mit gesenktem Kopf da. Ihre Haare fielen wie ein Vorhang vor ihr Gesicht und von ihrem Schienbein tröpfelte Blut.
Kopfschüttelnd hielt er an und verdrehte die Augen. Seine Freunde warteten auf ihn, und es gab unendlich viel zu tun. Der halbe Samstag war schon vorbei. Er konnte doch seine Zeit nicht mit Mädchen vergeuden. Vor allem nicht mit Schwestern.
Schwer seufzend wendete er, fuhr zurück und stieg verärgert vom Rad.
»Dann steig schon auf. Los, verdammt.«
Schniefend blickte sie ihn an. »Wirklich?«
»Ja, ja, komm schon. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Freudestrahlend und mit klopfendem Herzen kletterte Hope auf den Sattel. Als ihre Finger sich um die Gummigriffe des Lenkers schlössen, kicherte sie.
»Gib Acht. Das ist ernste Arbeit.« Er warf einen Blick zum Haus und hoffte, dass seine Mutter sie nicht sah. Sie würde ihnen beiden das Fell über die Ohren ziehen.
»Und jetzt musst du deinen Körper irgendwie ausbalancieren.« Es war ihm peinlich, Körper zu sagen, obwohl er eigentlich nicht wusste, warum. »Und sieh immer nach vorn.«
Vertrauensvoll blickte sie ihn an, und ihr Lächeln strahlte wie die Frühlingssonne. »Okay.«
Cade dachte daran, wie sein Vater ihm Fahrrad fahren beigebracht hatte, hielt den Sattel fest und lief neben ihr her, während sie in die Pedale trat.
Das Fahrrad wackelte hin und her. Sie schafften es ein paar Meter weit, bevor Hope umfiel.
Sie weinte nicht und stieg ohne zu zögern wieder auf. Und sie versuchte es immer weiter, den Weg hinauf und hinunter, vorbei an den großen Eichen, den Narzissen und den Tulpen, während aus dem Vormittag langsam Nachmittag wurde.
Hope schwitzte, und ihr Herz klopfte heftig. Mehr als einmal biss sie sich auf die Unterlippe, um nicht laut aufzuschreien, wenn das Fahrrad schwankte. Sie hörte, wie Cade keuchend neben ihr herlief, spürte seine Hand, die den Sattel festhielt. Und sie liebte ihn sehr.
Mittlerweile war sie fest entschlossen, es für ihn zu lernen.
»Ich schaffe es. Ich schaffe es«, flüsterte sie, kniff die
Augen zusammen und konzentrierte sich ganz auf ihr Ziel. Ihre Beine zitterten und sie spannte die Muskeln in ihren Armen an.
Das Fahrrad wackelte zwar noch, aber es fiel nicht mehr um. Und plötzlich lief Cade breit grinsend neben ihr her.
»Du kannst es! Mach weiter, du kannst es!«
»Ich
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