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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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verpasst.
    Das also hatten die beiden über sie gedacht. Wenn sie den Nachmittag in diesem Licht an sich vorüberziehen ließ, dann
war es ein Wunder, dass Kilian sie nicht gleich über Bord geworfen hatte. Wahrscheinlich hielt er sie für eine spätpubertierende Schiff-Stalkerin. Der Kuss, dieser bodenlose Fall in ein Gefühl, war für ihn bedeutungslos. Ein Scherz. Ein Spaß. Dem peinlichen Kind mal einen Schrecken einjagen und ihm zeigen, wie die großen Jungens spielen. Die romantischen Flausen aus dem Kopf treiben. Es zum Schweigen bringen. Seine Zweifel zerstreuen. Ihm eine Ahnung davon geben, dass es etwas jenseits der Romantik gab, das es nie erleben würde: den dunklen Garten seiner Seele.
    Amelie hatte recht: Es war peinlich, das nicht zu merken. Es war kindisch, überhaupt noch einen Gedanken an Kilian zu verschwenden. Sie streifte Jacke und Schuhe ab und kroch, wie sie war, unter die Decke. Es war Zeit, erwachsen zu werden.

VIERUNDZWANZIG
    Die Tage bis zum Fest verliefen still und friedlich. Michael und Franziska machten viele ausgedehnte Spaziergänge und benahmen sich ansonsten in Sabrinas Gegenwart wie gute Freunde. Es war schon fast zu viel der Harmonie, und als Michael am Sonntagnachmittag wieder fuhr, war es für ein paar Stunden tatsächlich so, als ob jemand fehlte. Sabrina erkannte erstaunt, dass sie mit der neuen Situation klarkam.
    Vielleicht lag diese Erkenntnis aber auch an dem Dämpfer, den ihr Amelies Tagebuch versetzt hatte. Der Entschluss, erwachsen zu werden, förderte also die Vernunft und die Einsicht, dass es eines Tages so oder so gekommen wäre und Franziska auch viel schlimmer hätte danebengreifen können. Michael war okay, solange er nicht den Psychologen herauskehrte und Sabrina zum Reden bringen wollte.
    Zum Glück hatte sich Franziska nach dem Weinberg-Desaster auf praktischere Geschenke verlegt. Sabrina konnte sich über eine neue Messenger-Bag freuen, dazu einen Download-Gutschein für Musik und einen Pullover mit Peace-Zeichen auf dem Rücken, den sie sich schon ewig ersehnt, aber nie offiziell gewünscht hatte, weil er einfach zu teuer war. Sie freute sich riesig, und ihre Mutter war begeistert von dem, was Sabrina für sie ausgesucht hatte. Von ihrem Vater bekam sie eine Weihnachtskarte mit hundert Euro. Franziska regte sich ein bisschen über diese Lieblosigkeit auf, aber Sabrina verteidigte das Geschenk. Sie hatte aus den Erfahrungen der letzten Feste gelernt. Väter schenkten ihren Töchtern grundsätzlich Dinge, die Jahre zu spät kamen. Vor zwei Jahren noch hatte eine Barbiepuppe unter dem Weihnachtsbaum gelegen. Geld vermied Enttäuschungen auf beiden Seiten. Das hätte durchaus auch eine Beate-Einsicht sein können, aber Sabrina
war das egal, als sie den Schein höchst zufrieden in ihre Hosentasche steckte.
    Später am Abend kam Michael zurück. Sie spielten Malefiz, tranken heiße Schokolade und gingen dann zu Fuß durch den Schnee in die Mariä-Himmelfahrt-Kirche, um die Weihnachtsgeschichte zu hören und die alten Lieder zu singen. Gegen elf Uhr waren sie zu Hause. Zehn Minuten später klingelte es Sturm an der Tür.
    Franziska schaute erst Sabrina, dann Michael fragend an.
    »Erwartet ihr jemanden?«
    Beide schüttelten den Kopf. Franziska ging zur Tür und kam wenig später mit Helga Fassbinder zurück. Die Kommissarin lächelte nicht, sondern steuerte sofort auf Sabrina zu.
    »Ich muss Sie bitten, sich etwas überzuziehen und mit uns zu kommen.«
    Sabrina, die gerade an einer steinharten Kokosmakrone nagte, verlor augenblicklich den Appetit. »Warum?«
    »Entschuldigen Sie bitte«, sagte Franziska, »aber es ist Heiligabend und es geht auf Mitternacht zu. Was soll das?«
    »Gehört das hier Ihnen?«
    Frau Fassbinder ließ Sabrina nicht aus den Augen. Sie hatte einen Gegenstand in einer Plastiktüte in der Hand, den sie hochhob. Es war Sabrinas Portemonnaie.
    Michael legte Sabrina die Hand auf den Arm. »Du musst nichts sagen. Gar nichts.«
    Doch Sabrina nickte. »Das ist meins. Da ist meine Monatskarte nach Neuwied drin und der Schülerausweis. Woher haben Sie das?«
    »Das ist eine interessante Frage. Die wollen wir aber nicht hier erörtern. Ziehen Sie sich bitte etwas an? Es ist ziemlich kalt draußen.«
    An der Tür wurden zwei Polizeibeamte sichtbar. Sie grüßten sehr höflich.
    Aber Franziska hatte in diesem Moment keinen Nerv, sich auch noch mit Benimmregeln auseinanderzusetzen. »Sie erklären
uns jetzt auf der Stelle, was das soll. Und warum meine

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