Lilienblut
bleiben.«
Kilian sah das Geld, machte aber keine Anstalten, es einzustecken. »Warum nicht? Du hast gesagt, der Platz ist sicher.«
»Für eine Nacht, ja. Aber du bist jetzt schon zwei Tage hier. Sie suchen dich. Schon wieder, immer noch – jedenfalls musst du weg.«
»Wer? Die Polizei?«
Der Ranger wich seinem Blick aus. »Du hättest davonkommen können, wenn du da geblieben wärst, wo der Pfeffer wächst. Seit der Sache mit Silvester ist alles wieder hochgekocht.«
»Wie geht es ihr?«, fragte er. Seine Stimme klang ruhig wie immer. Der Ranger hatte ihm von den beiden erzählt. Von ihren Fragen, von der eisigen Silvesternacht, und von Sabrina, die fast ums Leben gekommen war auf der Suche nach ihm. Er hatte mit keinem Wort erwähnt, dass er die beiden kannte.
Der Ranger beugte sich vor. »Ich halte nicht noch mal meinen Kopf für dich hin. Und mehr als diesen einen Unfall wird dir das Schicksal nicht gönnen. Verschwinde von hier.«
Langsam hob Kilian die Hand und legte sie auf die Scheine. Dann schob er sie dem Ranger entgegen. »Ich brauche dein Geld nicht.«
»Junge, wir sitzen beide im selben Boot. Wenn sie rauskriegen, wo du bist, bin ich geliefert.«
»Was hast du denn getan? Du hast doch nicht etwa was damit zu tun?«
»Ich?« Der Ranger hob beide Hände. »Gar nichts. Die Kleine ist ins Wasser gefallen. Kann immer mal passieren an Silvester.« Der Ranger schüttelte den Kopf. »Im Moment gibt sie auch Ruhe. Aber sie wird nicht aufhören, dich zu suchen. Eines Tages taucht sie hier auf. Und dann ist es besser, wenn du nicht mehr da bist.«
»Ich bleibe. Du kannst mich ja verpfeifen.«
Der Ranger hieb mit der Faust auf den Tisch. Kilian zuckte
zusammen, doch er erwiderte ruhig den wütenden Blick seines Gegenübers. »Du hast nicht mehr viel Zeit. Geh. Das ist mein letztes Wort.«
Langsam und kaum merklich schüttelte Kilian den Kopf.
Der Ranger seufzte und stand auf. In der Tür drehte er sich noch einmal um. »Du willst gefunden werden. Ist es das?«
Kilian gab keine Antwort. Auf dem Tisch lag das Geld. Er hörte, wie der Ranger die Stufen hochstieg und das Schiff verließ. Als der Motor ansprang und wütend aufheulte, stand er auf und ging ans Fenster.
Ja, dachte er. Ich will, dass sie mich findet. Sonst bin ich verloren.
ACHTUNDZWANZIG
Erst Mitte März begann das Eis zu schmelzen. Die verharschten Schneeberge am Wegesrand wurden von Tag zu Tag kleiner. Als das Thermometer ein paar Tage über null anzeigte und die Sonne zum ersten Mal einen Hauch von Frühlingswärme verbreitete, machte sich Sabrina an einem frühen Sonntagmorgen auf den Weg zum Weinberg. Die kahlen, verdorrten Äste der Rebstöcke klammerten sich an die Stäbe und sahen für ungeübte Blicke ziemlich tot aus. Aber schon in wenigen Wochen würden sie ausschlagen und grün werden, so wie die ganze Natur, die zögernd aus dem Winterschlaf erwachte.
Auf halber Höhe blieb Sabrina stehen und warf einen Blick hinüber zu Dobersteins Jüngstem. Jetzt wäre die Zeit, dort nach dem Rechten zu sehen. Viel Arbeit, viel mühsame Plackerei, aber für jemanden, der Spaß daran hatte, bei null anzufangen, eine echte Herausforderung.
Franziska hatte die Verhandlungen im letzten Moment gestoppt. Kreutzfelder senior war nicht sehr erbaut davon gewesen. Sein Grummeln und seine spitzen Bemerkungen, wann immer ihm Sabrina über den Weg lief, nervten gewaltig. Aber Sabrina war mit ihrer Mutter übereingekommen, dieses Jahr noch abzuwarten. Tatsächlich war ein Gutachten von der Gemeinde bestellt worden. Ein bisschen mulmig war Sabrina schon bei dem Gedanken: Wenn sie jetzt den Pachtvertrag an Kreutzfelder geben würden, bekämen sie wenigstens ein bisschen Geld. Wenn das Gutachten bestätigte, dass da oben nichts mehr zu machen war, säßen sie auf einem unbrauchbaren Weinberg. Wenn es aber grünes Licht für den Anbau gab … Dann könnte dieser Weinberg eine Goldgrube sein. Wenn die Querterrassen ausgebaut würden, könnte man sogar mit Drehwerk und Traubenwagen durch. Das war zwar
viel Arbeit am Anfang, würde sich aber ab dem ersten Jahr schon mehr als lohnen.
Neben Sabrina schlängelte sich eine schmale Terrasse nach links. Ein kaum erkennbarer, überwucherter Weg führte nach oben auf den Bergkamm. Hinter der Spitze, wieder ein Stück runter Richtung Neuwied, zog sich eine wenig befahrene, buckelige Piste hin zur Edmundshütte. Im Sommer belieferten wendige kleine Transporter das Ausflugsziel mit Getränken. Für Weinbauern war
Weitere Kostenlose Bücher