Lilienblut
Lukas ist dazwischen, und anschließend sagte er, das gehe nicht mehr so weiter mit mir, ich wäre krank und alles nicht zum Aushalten, er käme nicht mehr klar.«
Beate schluckte und spülte den Rest mit einem großen Schluck Milch hinunter. »Mit dir«, sagte sie.
Der Richter kam herein. Über Hemd und Hose hatte er einen weiten Hausmantel geworfen, der ihm gemeinsam mit den samtenen Pantoffeln etwas Britisch-Hochnäsiges verlieh. »Ich bin beruhigt, dass deine Freundin ihr Sprachvermögen wiedererlangt hat«, sagte er über Sabrinas Kopf hinweg. »Etwas Kaffee?«
»Ja, gerne. Entschuldigen Sie bitte. Guten Morgen.«
Beate sprang auf und holte eine Tasse aus dem Küchenschrank. Der Richter nahm seine Zeitung und verzog sich grummelnd hinter das verwerfliche Treiben der Weltpolitik. Er trug eine Brille mit Gläsern so dick wie Flaschenböden. Sabrina hatte das Gefühl, er las gar nicht. Was er an Allgemeinplätzen von sich gab, passte auf alles und nichts.
»Wir gehen nach oben, Opi.«
»Früher nahm man noch gemeinsam die Mahlzeiten ein.« Mit einer Handbewegung schlug er die Seiten glatt, dass es knallte. »Da sprang nicht jeder auf und weg und Besuch hat sich angekündigt.«
»Bis später.« Beate achtete gar nicht auf seine Granteleien. Sie drückte ihrem Großvater einen schmatzenden Kuss auf die faltige Wange, nahm die beiden Kaffeebecher und warf Sabrina einen aufmunternden Blick zu.
Die erhob sich. »Äh ja. Entschuldigen Sie bitte. Aber unvorhergesehene Ereignisse …«
Der Richter ließ die Zeitung sinken. »Ist alles in Ordnung? Du klingst ein wenig aufgeregt, mein Kind.«
Sabrina fühlte sich ertappt. Nur weil der alte Mann fast blind war, hatte sie geglaubt, er würde nichts bemerken.
»Ist es das Schiff?«
Beate und Sabrina wechselten einen Blick. Fast unmerklich schüttelte Beate den Kopf. Sie wollte nicht, dass der Richter mehr erfuhr als unbedingt nötig und sich am Ende noch Sorgen machte.
»Das hat sich erledigt«, sagte Sabrina schnell. »Da gibt es keine Zusammenhänge mit der Sache vor acht Jahren. Ich habe mich geirrt.«
Der Richter nahm seine Lektüre wieder hoch. »Dann ist es ja gut. Sonst hätte dir Beate im Archiv etwas heraussuchen können. Das war zu der Zeit, in der ich zum ehrenamtlichen Schiedsmann für Jugendstrafsachen berufen wurde.«
»Ach wirklich?« Sabrina setzte sich wieder.
Beate seufzte und gesellte sich zu ihnen. Das Gesicht des Richters war hinter den Andernacher Nachrichten verschwunden. Sanft legte Sabrina die Hand auf die Zeitungsseiten und schob sie nach unten.
Die Augen des Richters, groß wie Tennisbälle, hefteten sich auf sie. »Nach meiner Pensionierung war das. Man will ja die erworbenen Fähigkeiten weiterhin in den Dienst der Allgemeinheit stellen. Und gerade der Jugend gehörte immer meine erhöhte Aufmerksamkeit.«
Was die Jugend, nach Beates Gesichtsausdruck zu schließen, nicht immer mit entsprechender Gegenliebe zur Kenntnis nahm.
»Und da passierte der Mord am toten Fluss?«
»Genau da. Aber wenn sich das erledigt hat …«
»Also, um ehrlich zu sein, ich würde es schon ganz gerne lesen. Ihre Fähigkeiten und so …«
Aber die Zeitung war schon wieder zwischen ihnen. Beate ging zur Tür. Sabrina bedankte sich und folgte ihr.
In ihrem Zimmer stellte Beate die beiden Kaffeetassen auf den Tisch. »Ulkig. Manchmal blitzt was auf bei ihm, und er kann sich an Sachen erinnern, da staune ich bloß.«
»Wo sind denn diese Zeitungen?« Sabrina hatte zwar ein schlechtes Gewissen, aber gegen das Lesen konnte ja wohl niemand etwas einwenden.
»In seiner Bibliothek. Irgendwelche Justiz-Nachrichtenblättchen. Gib mir ein paar Tage Zeit. Er hat zwar alles geordnet, aber das System ist mir bis heute nicht klar.« Sie setzte sich aufs Bett. »Lukas hat also mit dir Schluss gemacht.«
»Ja.« Sabrina nahm neben ihr Platz. »Aber vielleicht ist es ja besser so. Es lief irgendwie nicht rund. Obwohl ich ihn sehr gerne mag und alle begeistert davon sind, wie gut wir zusammenpassen.«
Beate hob die Augenbrauen. Damit kommentierte sie, dass sie sich nicht zu allen zählte.
»Ja ja, ich weiß. Du hast ja schon immer was gegen ihn gehabt.«
»Stimmt nicht. Ich fand ihn nett. Am Anfang zumindest. Dann aber hat er sich für meine Begriffe ein bisschen zu sehr als dein großer Held und Beschützer aufgespielt. Er war ja immer um dich rum und hat dich immer mehr abgeschottet.«
»So war das doch gar nicht!«
»Dir ist es vielleicht nicht aufgefallen.
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