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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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sich und ein halbes Dutzend fröhliche Frauen stieg lächend und schwatzend aus.
    »Kreutzfelders Polinnen.«
    Sabrina zog die Stirn kraus. Saisonarbeiter waren etwas ganz Normales. Aber es war schon komisch, wenn man den Chef das ganze Jahr hier oben nicht zu sehen bekam. Die Frauen schwärmten aus und machten sich an die Arbeit.
Sabrina warf einen Blick auf Dobersteins Jüngsten. Sollten sie dort anfangen oder nicht? Aus Franziska war dazu kein klares Wort herauszubekommen.
    »Guck mal, das erste Schiff.«
    Beate deutete hinunter auf die andere Seite des Rheins. Tatsächlich setzte sich gerade gemächlich eine Fähre in Bewegung und hielt auf Leutesdorf zu. Unten auf dem Parkplatz neben Salingers Wirtschaft hatte sich ein Pulk Ausflügler versammelt und wartete auf den Weitertransport. Beim Gedanken an die Werth hatte Sabrina ein Gefühl wie bei nicht gemachten Hausaufgaben. Verdrängt, aber nicht vergessen. Wahrscheinlich war der Ranger auch schon bei der Arbeit. Alles ging weiter, als wäre nichts geschehen. Es war schon deprimierend, wie wenig sich die Welt um all die großen und kleinen Katastrophen scherte, die jeden Tag passierten.
    »Lass uns aufhören.« Sabrina warf die Drahtzange in den Korb mit den Arbeitsgeräten.
    Beate betrachtete eingehend ihr Werk, das eher an moderne Kunst erinnerte als an einen fachmännisch aufgebundenen Weinstock. »Gute Idee. Wir könnten mal zum Geysir fahren.« Sie zog die Arbeitshandschuhe aus. »Wenn wir uns beeilen, kriegen wir den Dampfer noch.«
    »Ich darf nicht.« Sabrina kaute unentschlossen auf ihrer Unterlippe.
    »Zum Geysir? Das ist doch höhere Heimatkunde. Da kann doch keiner was dagegen haben. Ist deine Mutter da?«
    Sabrina kniff die Augen gegen die Sonne zusammen und blinzelte hinunter zum Hof. Michaels Wagen war verschwunden. Die beiden hatten vorgehabt, den Samstag für Einkäufe zu nutzen.
    »Ich glaube nicht.«
    »Na dann los!«
    Beate begann eilig mit dem Abstieg. Einen Moment lang zögerte Sabrina. Es stand so viel zwischen ihnen. Beate tat so, als ob nichts passiert wäre, dabei musste sie spüren, dass Sabrina auf Abstand gegangen war. Doch als sich ihre Freundin
ungeduldig nach ihr umdrehte, zog auch Sabrina die Handschuhe aus und rannte hinter ihr her.
    Sie erreichten keuchend und außer Atem das Schiff kurz vor dem Ablegen. Auf dem Wasser wehte ein eisiger Wind. Sie suchten sich zwei Plätze unter Deck am Fenster.
    Beate fröstelte, sie bestellte bei einem nicht sehr ausgeschlafen wirkenden Kellner zwei Tee und warf einen Blick hinaus aufs Wasser. »Wir sind in einer Stunde wieder zurück. Niemand merkt was.«
    Beate tat so, als wäre das ein harmloser Ausflug. Aber sie hatte auch nicht ihrer Mutter auf dem Krankenbett versprechen müssen, nie wieder etwas Unüberlegtes zu tun. Diese Aktion war weder überlegt noch geplant. Beate schien das gar nichts auszumachen. Die hatte ja auch niemanden zu Hause, der ihr die Hölle heiß machen könnte.
    »Hast du eigentlich jemals Amelies Tagebuch ganz gelesen?«
    »Nein.« Sabrina schüttelte den Kopf. »Das waren ihre Geheimnisse. Die gingen mich nichts an. Für mich war es ein Orakel. Und nur so habe ich es benutzt.«
    »Schade. Also, mir hätte es schon in den Fingern gekribbelt. Vielleicht hat sie ja was reingeschrieben, was wichtig wäre. Etwas über ihren Mörder vielleicht.«
    »Das hat jemand rausgerissen. Es fehlen vier Seiten in der Mitte. Die Polizei hat sie nicht gefunden. Eigentlich hat sie gar nichts gefunden.«
    Der Kellner brachte den Tee und kümmerte sich dann um eine Gruppe verwirrter Radfahrer, die gerade erfahren hatten, dass sie ihre Räder nicht mit auf die Halbinsel nehmen durften.
    »Wo ist es jetzt?«
    »Ich habe es vergraben.«
    Beate warf ihr einen zweifelnden Blick zu.
    Sabrina umklammerte das Teeglas, um sich ein bisschen zu wärmen. »Auf dem Friedhof. Ich habe es ihr zurückgegeben. Ich fand, dass es an der Zeit war, von diesen Sachen Abschied zu nehmen und erwachsen zu werden.«

    »Du setzt also Erwachsenwerden mit Aufgeben gleich.«
    »Blödsinn. Es war einfach eine wichtige Geste für mich. Ich habe es ihr quasi ins Grab gelegt. Nicht rein natürlich. Ich habe es nur in der Erde darüber vergraben und Blumen draufgepflanzt. Es gehört ihr. Eine Weile hat es mir geholfen, was sie geschrieben hat. Aber ich muss jetzt meine eigenen Erfahrungen machen und selbst damit zurechtkommen.«
    »Bist du deshalb so komisch?«
    Sabrina trank Tee, um Zeit zu gewinnen. »Ich bin nicht

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