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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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fragen, aber er schaute nur durch die Frontscheibe auf die Straße und sagte kein Wort. Sie stieg aus und warf die Tür zu. Er startete und fuhr davon. Wie betäubt starrte sie den Rücklichtern hinterher, bis er weit oben am Alten Krahnen den Blinker setzte und abbog.
    Was war das denn? Hatte er eben Schluss gemacht? Sie lief los, ohne darauf zu achten, wohin. Er hielt es nicht mehr aus mit ihr. Er konnte nicht mehr. Das klang, als hätte sie ihn an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben. Als wäre sie das Schlimmste, was einem Mann passieren konnte.
    Eigentlich war es nicht der Verlust, der sie so sauer machte. Es waren Wut und Enttäuschung, dass jemand, der sie angeblich liebte, sie so mir nichts, dir nichts mit ein paar üblen Sätzen gehen ließ. Du machst mich fertig. Das war doch lächerlich! Amelies Verlust hatte ihn genauso getroffen wie Sabrina. Er musste doch mindestens das gleiche Interesse an einer Aufklärung haben wie sie! Natürlich würde sie nicht mehr nachts auf der Werth herumstromern. Und in die Nähe eines ungesicherten Uferkais würden sie keine zehn Pferde mehr bringen. Aber am helllichten Tag jemanden auf der Straße ansprechen, der vielleicht einen entscheidenden Hinweis geben konnte, was war denn schon dabei? Sie fühlte sich gegängelt wie ein kleines Kind, ungerecht behandelt und dann auch noch von oben herab abgekanzelt. Vor einer Stunde noch hatte sie fliegen wollen, und jetzt war es Lukas mit ein paar Sätzen gelungen, sie auf dem Boden zu zerschmettern.
    Als sie wenig später an Beates Haustür klingelte, hoffte sie inständig, nicht dem Richter über den Weg zu laufen. Doch ausgerechnet der stand oben auf der Treppe und sah ihr grimmig entgegen, als sie über den Gartenweg auf das Haus zugelaufen kam.
    »Reichlich früh am Sonntag. Von Anmelden halten sie wohl nichts, die jungen Leute?«

    Wie so oft, wenn er was zu meckern hatte, tat er das nicht, indem er seine Opfer direkt ansprach. Er suchte sich den Umweg über die dritte Person, was die Sache umso ärgerlicher machte. Sabrina stapfte grußlos an ihm vorbei.
    »Guten Morgen!«, trompetete er ihr hinterher und schnäuzte anschließend lautstark in ein Papiertaschentuch.
    Sabrina durchquerte die große Empfangshalle und lief direkt in Richtung Küche. Um diese Uhrzeit saß Beate meistens beim Frühstück. Sie und ihr Großvater teilten sich die Sonntagszeitung, er, indem er das Tagesgeschehen bissig kommentierte, sie, indem sie versuchte, diese Kommentare zu überhören.
    Ähnlich war es auch an diesem Vormittag, allerdings saß Beate allein am Tisch, und eine hyperdünne, nervöse Frau im Kostüm stand neben ihr. In der einen Hand hielt sie ein Handy, in der anderen einen trockenen Vollkorntoast. Beate schaufelte sich gerade einen Löffel Müsli in den Mund. Die Frau lächelte sie an, was einige tiefe Falten in ihre Wangen grub.
    »Du musst Sabrina sein, Beates Freundin.«
    Die Frau reichte ihr eine Hand, die sich anfühlte wie ein Bündel Reisig. Alles an ihr war knochig. Allerdings hatte sie sich gut geschminkt, und die halblangen Haare fielen in glänzenden, sehr gepflegten Wellen auf die Schulter. Sie hatte dieselben hellen Augen wie Beate, und auch wenn der magere Richter neben ihr aussah wie ein wohlgenährter Buddha, war die Ähnlichkeit unverkennbar.
    »Und Sie sind Frau Seiters«, antwortete Sabrina.
    »Ich freue mich. Beate hat viel von dir erzählt. Tut mir leid, aber ich habe heute Großkampftag. Ich organisiere eine Konferenz, die am Montag beginnt, und muss deshalb noch mal nach Bonn.«
    Sie drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn, von dem ein roter Lippenstiftabdruck übrig blieb. Mit energischen Bewegungen versuchte sie, ihn abzureiben, aber Beate wandte unwillig den Kopf weg.

    »Schon gut, Mama.«
    Frau Seiters eilte hinaus.
    Beate zupfte eine Serviette aus dem Ständer und wischte sich die Stirn ab. Dabei ließ sie Sabrina nicht aus den Augen. »Was ist los?«
    »Er hat mit mir Schluss gemacht.« Sie plumpste ohne zu fragen auf einen Stuhl und holte tief Luft. »Eben. Vor zehn Minuten. Aus heiterem Himmel.«
    Es war immer noch so unfassbar. Absurd geradezu. Fast hätte Sabrina gelacht, wenn ihr nicht immer noch die Tränen in den Augen stehen würden. Beate kaute langsam mit vollen Backen und sah sie dabei an wie ein Versuchsobjekt unter dem Mikroskop.
    »Ich habe Günni getroffen. Unten am Hafen. Und er hat mir gesagt, dass er Berti versteckt hat.«
    Beate kaute weiter.
    »Günni wurde wütend,

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