Lilienblut
sagen konnte, war sie aus dem Auto gesprungen. Sie lief auf Günni zu, der sie erst irritiert ansah und dann, als er in seinem Gedächtnis gekramt und die passende Erinnerung gefunden hatte, vor Schreck einen Schritt zurückstolperte.
»Hi, Günni. Wie geht’s denn so?«
Der große Mann ließ die Arme hängen. Sein Gesicht verschloss sich. »Gut«, brummte er.
Lukas hupte.
»Hast du das von Berti gehört?«
»Mja.« Er setzte sich in Bewegung.
Sabrina folgte ihm. »Und?«
»Was und?«
»Wo ist er die ganze Zeit gewesen?«
»Schnauze.«
»He, was -«
Abrupt blieb er mitten auf der Straße stehen. Sabrina erkannte Lukas hinter der Windschutzscheibe seines Landrovers, wie er halb belustigt, halb ärgerlich die Hände in einer fragenden Geste vom Steuer hob.
Günni baute sich vor ihr auf. »Hat das kein Ende?« Er wollte bedrohlich wirken, aber weil alles an ihm so aussah wie ein zu großes Gorillababy, gelang ihm das nicht wirklich.
»Schnüffelst du immer noch rum? Lass das bleiben. Ist nicht gut für dich.«
Günni trug einen grob gestrickten Pullover, eine ausgeblichene Jeans und offene Turnschuhe. Von einem hatten sich die Schnürsenkel gelöst. Sabrina wollte ihn gerade darauf hinweisen, als ein Bild in ihr aufblitzte. Zwei Paar Schuhe. Ein großes. Ein kleines. Eines, das zu ihm passte, und eines, das anders war. Anglerstiefel. Kleine Anglerstiefel.
»Er war bei dir.«
Günni wandte sich ab und schlurfte weiter.
Als Lukas sah, dass Sabrina ihm folgte, hupte er. Aber sie achtete nicht auf das Signal.
»Ich weiß es. Gib’s doch zu! Warum hast du ihn versteckt?«
»Blödsinn«, knurrte er. »Lass mich in Ruhe.«
»Er war in der Wohnung, als wir bei dir waren. Mein Gott Günni, warum hast du mir das nicht gesagt! Ich hätte vielleicht mit ihm reden können …«
Blitzschnell drehte sich Günni zu ihr um und packte sie am Kragen. »Was hätte das geändert? Nichts! Gar nichts! Du! Mit ihm reden! Er hatte Angst!«
»Vor was?«
Jemand riss ihn zurück.
Lukas stand wutschnaubend hinter ihnen. »Fass sie nicht noch mal an, Freundchen.«
Günni drehte sich langsam – wie in Zeitlupe – zu Lukas um und legte alle Verachtung, zu der er fähig war, in eine einzige Silbe. »Ach.«
Dann stapfte er davon.
Sabrina wollte ihm folgen, aber Lukas hielt sie zurück. »Es reicht. Steig ein.«
Wortlos ging er zurück zum Wagen. Sabrina krabbelte auf ihren Sitz. Sie spürte, wie wütend Lukas war und dass er recht hatte. Sie sollte sich nicht mehr einmischen. Aber Günni war ein Mensch, der niemandem etwas zuleide tat. Im Gegenteil. Die Angst, die Berti gehabt haben musste, war auch in ihm. Sie hatte sie gesehen und gespürt.
Lukas fuhr, als hätte er einen Maserati unter dem Hintern. Mit siebzig Sachen bog er in die Uferpromenade ein. Gerade huschte eine Großfamilie über den Zebrastreifen Richtung Schiffsanlegestelle. Lukas machte eine Vollbremsung, der Vater zeigte ihm einen Vogel, und Sabrina schnallte sich mit zitternden Fingern an.
»Entschuldige bitte«, sagte sie.
Aber Lukas fiel ihr sofort ins Wort. »Du redest nicht mehr mit ihm.«
»Aber er hat gerade gesagt, dass Berti sich bei ihm versteckt hat!«
»Still!« Lukas schrie beinahe. »Ich kann es nicht mehr hören. Kapierst du eigentlich nicht? Muss man dir alles zehnmal sagen? Musst du erst tot sein, bevor du es verstehst? Du machst mich krank! Und weiß du warum? Weil du selber krank bist!«
Er fuhr an den Straßenrand und hielt an. In diesem Ton hatte er noch nie mit Sabrina gesprochen. Ihr wurde klar, dass noch niemand das bisher getan hatte. Sie saß da mit offenem Mund und wusste nicht, wie ihr geschah.
»Geh nie wieder auf die Werth.«
»Lukas …«
»Halt dich raus. Tu, was ich dir sage.«
»Sonst?«
Er legte einen Arm auf das Steuer und sah an ihr vorbei.
»Sonst ist es aus zwischen uns?«
Er sagte nichts. Sabrina presste die Lippen aufeinander. Gut, wenn er es unbedingt so haben wollte …
»Ich halte das nicht mehr aus«, sagte er leise. Etwas in seinem Ton zog Sabrina das Herz zusammen. »Ich kann das nicht mehr. Du machst mich fertig.«
Sie wollte etwas sagen, aber ihr fielen die richtigen Worte nicht ein. Es gab auch keine. In solchen Situationen war es besser, klärende Gespräche auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
»Ich glaube, ich geh dann mal.«
Er nickte. »Wir sollten uns eine Auszeit nehmen. Wir beide.«
Eine Auszeit. Was hatte das denn zu bedeuten? Sabrina öffnete den Mund, um ihn das zu
Weitere Kostenlose Bücher