Lilienblut
um.
»Schön, dich zu sehen«, sagte Lukas.
Er legte seinen Arm um sie. Sabrina ließ es einen Moment geschehen, bevor sie wie unabsichtlich ein paar schnelle Schritte voraus ging. Lukas spürte das und hielt Abstand. Zu zweit bummelten sie über den Markt, blieben ab und zu stehen, und schließlich kaufte Sabrina einen Strauß Herbstastern, den sie Franziska zur Entschuldigung für ihr dauerndes Fehlen mitbringen wollte. Endlich erreichten sie das Eiscafé. Luigi hatte Heizstrahler neben die Tische gestellt und bunte Decken über die Stühle verteilt. So konnten sie noch draußen sitzen, obwohl es eigentlich schon viel zu kalt dafür war.
Ein anderes Mädchen trat an ihren Tisch. Sie war älter als Amelie und auch nicht ganz so freundlich. Mit flüchtigen Gesten notierte sie die Bestellung und huschte ohne ein weiteres Wort wieder hinein. Sabrina und Lukas waren die einzigen Gäste.
Sie drehte sich um und versuchte, Luigi in dem Café zu entdecken, aber er war nicht da. »Also, was gibt es Neues?«
Sie hatte nur diese zwei Stunden und wollte auf keinen Fall
wieder zu spät kommen. Lukas nahm eine der Decken, faltete sie auseinander und legte sie Sabrina über die Knie. Es war eine nett gemeinte Geste, und Sabrina nahm sie hin, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen.
»Es gab wohl eine Eingabe beim Liegenschaftsamt. Erosion, bröckelnde Steine und so weiter.«
»Von wem?«
»Keine Ahnung. Jedenfalls waren vor ein paar Wochen irgendwelche Mitarbeiter vom Amt auf dem Rosenberg und haben das geprüft.«
»Mit welchem Ergebnis?«
»Das steht noch aus.«
Die junge Frau brachte zwei heiße Schokoladen mit einem gewaltigen Sahneberg obendrauf. Beide hatten auf einen Eisbecher verzichtet – es war einfach nicht mehr das Wetter dafür.
Nachdenklich löffelte Sabrina Zucker in ihre Tasse und rührte um. »Könnte das Konsequenzen haben?«
»Falls sie was finden? Auf jeden Fall. Es gibt ja immer noch Pläne, die Bahntrasse in Leutesdorf zu verlegen. Im Moment führt sie ja direkt durch die Vorgärten.«
Sabrina nickte. Die Züge waren ein echtes Problem. Die meisten rauschten in einem Affentempo vorbei. Die Dobersteins wohnten glücklicherweise ein Stück weit von der Bahntrasse entfernt. Für die Leute, die weiter unten Richtung Rhein lebten, brauste jedes Mal ein Sturm durchs Gemüsebeet.
»Aber da ist noch lange nichts entschieden.« Lukas trank einen Schluck Kaffee. »Kennst du die da? Die schaut schon die ganze Zeit so komisch.«
Sabrina folgte seinem Blick – und erstarrte. Beate stand auf der anderen Seite des Marktplatzes. Sie tat nichts anderes, als ganz unbeteiligt in ihre Richtung zu sehen. Als ihre Blicke sich kreuzten, drehte sie sich um, ohne eine Miene zu verziehen, und ging weg.
Sabrina fühlte sich, als hätte man sie eben beim Klauen
erwischt. »Na toll. Jetzt hat sie mich gesehen. Ich hab sie angeschwindelt, weil ich mit dir verabredet war.«
Lukas grinste. »Bin ich dir so peinlich, dass du mich lieber geheim hältst?«
»Nei-nein«, stotterte Sabrina. »Es ist nur … Sie wollte mir was Wichtiges sagen. Über Amelie. Und da wollte ich sie nicht vor den Kopf stoßen.«
Das waren die dümmsten aller Lügen: die, die man nur aussprach, um andere nicht zu verletzen.
Lukas sah sie nachdenklich an. Dann griff er nach ihrer Decke, die ein bisschen verrutscht war, und wollte sie richten. Dieses Mal war es Sabrina gar nicht recht. Sie zuckte zusammen in instinktiver Abwehrhaltung und hob die Hände. Am liebsten wäre sie aufgesprungen und Beate hinterhergelaufen.
»Was ist denn mit Amelie?«, fragte Lukas. Er tat, als hätte er Sabrinas Geste gar nicht bemerkt. »Hat sich die Kriminalpolizei gemeldet?«
»Nein. Das ist es ja. Es tut sich nichts. Gar nichts. Ich war diese Woche da, aber sie konnten mir wieder nichts Neues sagen.«
Ungeduldig sah sie sich nach Luigis neuer Servicekraft um. Sie wollte zahlen. Aber das Mädchen stand im Geschäft hinter dem Tresen, blätterte gelangweilt in einer Zeitschrift und achtete nicht mehr auf die wenigen Gäste.
»Wer war sie denn?«
»Beate. Die Enkelin vom Richter.«
»Na, das nenn ich mal ein Schicksal. Aber in Heimatkunde ist sie dann wohl eins a.«
Sabrina konnte mit Lukas’ Humor im Moment gar nichts anfangen. Sie sah auf ihre Armbanduhr. Auch ohne Beates plötzliches Auftauchen wäre es Zeit gewesen, zu gehen.
»Und was hat sie mit Amelie zu tun?«
Sabrina wog für einen Moment lang ab, ob sie Lukas einweihen sollte oder nicht. Dann
Weitere Kostenlose Bücher