Lilienblut
Verbindung zwischen den beiden Morden hieß nicht automatisch, dass er etwas damit zu tun hatte.
»Natürlich war da ein Schiff«, sagte Lukas leise. »Es muss da gewesen sein. Und auf ihm war der Mörder.«
»Kilian ist kein Mörder.«
»Dann ist er verdächtig! Ich verstehe dich nicht, Sabrina. Sag mir wenigstens, was du vorhast. Damit ich ein bisschen auf dich aufpassen kann.«
Erstaunt sah sie Lukas an. »Warum?«
»Ich will genau wie du, dass Amelies Tod aufgeklärt wird.«
»Dann musst du mir schon glauben.«
»Ich glaube dir. Wirklich. Ich will dich aber nicht allein lassen in dieser Situation. Wenn du einen Plan hast oder irgendeine Idee, dann rede mit mir darüber. Einverstanden?«
»Nicht jetzt.« Sabrina lächelte ihn entschuldigend an. »Ich will erst noch wissen, was dem alten Richter eingefallen ist.«
»Okay. Ruf mich an, wenn du zu ihm gehst. Versprochen? Ich will nicht, dass du dich auch noch in Gefahr bringst.«
Er sah ihr in die Augen. Erstaunlicherweise machte es Sabrina gar nichts aus, diesem Blick standzuhalten. Im Gegenteil: Es war, als wäre ein Teil der Last von ihren Schultern gefallen, die sie die ganze Zeit über gedrückt hatte.
»Danke«, sagte sie. »Du weißt nicht, was es mir bedeutet, dass ich mit dir darüber reden kann.«
Wieder legte er seine Hand auf ihren Arm. Dieses Mal kam die Geste Sabrina nicht besitzergreifend, sondern beschützend vor. »Und mir erst«, antwortete er. »Und mir erst.«
Sabrina schaffte es tatsächlich noch rechtzeitig auf den Weinberg. Als es dunkel wurde und Franziska sich verabschiedete, hatten sie schon fast die Hälfte hinter sich. Andres und Kjell warteten, bis ihre Chefin ganz hinabgestiegen und ins Haus gegangen war, dann holten sie eine Flasche Federweißen aus ihrem Versteck und prosteten sich zu.
»Willst du auch?«
Kjell hielt ihr die Flasche entgegen, doch Sabrina schüttelte nur den Kopf. Federweißer ging schneller ins Blut, als man dachte.
Kjell zuckte mit den Schultern und stapfte zu Andres. Die beiden zogen sich in den Unterstand zurück und waren nicht mehr zu sehen.
Vorsichtig blickte Sabrina sich um. Die Dämmerung hatte das Flusstal schon in tiefe Dunkelheit getaucht. Nur hier oben am Berg war es noch ein bisschen hell. Gerade hell genug, um den Weg zur Edmundshütte zu erkennen. Sie schnappte ihre Tasche und lief, so schnell sie konnte. Die Hütte war eine alte Wegmarke entlang des Rheinsteigs. Der Wanderweg verband die Talberge des Mittelrheins zwischen Koblenz und Bonn. Im Sommer war das kleine Haus mit der atemberaubenden Aussicht ein beliebtes Ausflugsziel. Doch seit einigen Tagen war die Hütte geschlossen, und Sabrina konnte sicher sein, von keinem verirrten Rucksacktouristen gestört zu werden.
Obwohl sie das Klettern gewohnt war, ging ihr bald die Puste aus. Das lag zum einen an dem Tempo, das sie vorlegte, zum anderen an dem Gewicht, das sie mit sich herumschleppte.
Endlich hatte sie die Aussichtsplattform erreicht. Vor ihr breitete sich das Flusspanorama aus. Links unten Leutesdorf, auf der anderen Seite Andernach und rechts daneben die Namedyer Werth. Seitdem Sabrina dem schwarzen Gnom da
drüben begegnet war, hatte sie sich vorgenommen, vorsichtiger zu sein. Sie wollte den toten Fluss im Auge behalten und dabei am besten nicht gesehen werden.
Aus der Tasche holte sie das Fernrohr ihres Vaters hervor. Sie hatte es auf dem Dachboden gefunden, in einer Kiste mit Pullovern, einem uralten Walkman und ein paar verstaubten Büchern. Franziska hatte die Hoffnung aufgegeben, dass er den alten Kram je abholen würde. Die Kiste geriet langsam, aber sicher in Vergessenheit, und Sabrina hatte nicht den leisesten Anflug von schlechtem Gewissen, sich das Fernrohr für ihre Zwecke auszuleihen.
Sie zog die Beine des Stativs auseinander und probierte so lange, bis es einen sicheren Stand hatte. Dann setzte sie das Fernrohr darauf, schaute hindurch und drehte so lange an den Rädern herum, bis das Bild scharf war. Es war um Längen besser als das Fernglas, das für größere Entfernungen einfach nicht geeignet war. Sie erkannte den Stromhafen mit seinen Umschlag- und Vorratsplätzen, dann die Aussichtsplattform mit der Siegfried-Statue, die sie noch nie so nah und deutlich von vorne gesehen hatte, denn der Held streckte seine steinerne Brust dem Fluss entgegen und drehte Andernach in stoischem Gleichmut den Rücken zu. Rechter Hand entdeckte sie den verwaisten Fähranleger, denn die Fahrt zum Geysir wurde im Herbst
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