Lilienblut
entschied sie sich dagegen. »Unwichtig.«
»Aber sie wollte dir doch was sagen. Was denn?«
»Wenn ich das wüsste, würde ich jetzt wohl mit ihr und nicht mit dir hier sitzen.«
Seine Hand legte sich auf ihren Arm. Wieder fiel Sabrina auf, wie besitzergreifend diese Geste war. »Wenn sie etwas über Amelie weiß, dann interessiert mich das auch.«
Sabrina presste die Lippen aufeinander. Es war schwer zu akzeptieren, dass auch andere ein Recht darauf hatten, um Amelie zu trauern. Komischerweise gestand sie das Willy und Wanda ohne Weiteres zu. Bei Lukas aber war es anders. Etwas in ihr weigerte sich, ihm reinen Wein einzuschenken. War sie etwa eifersüchtig? Sie entzog sich seinem Griff. »Ich versuche nur, ein bisschen mehr über sie zu erfahren.«
»Ihr wart doch Freundinnen. Ziemlich enge sogar.«
»Ja. Aber das heißt ja nicht, dass man sich alles erzählt.«
»Nicht?«
Jetzt sah er so ratlos aus, dass er ihr schon wieder beinahe Leid tat. »Jeder hat seine Geheimnisse. Du doch auch.«
Lukas’ Gesicht verschloss sich. Es war, als wäre plötzlich ein dunkler Schatten über seine Züge geglitten. Er sah in die andere Richtung, als ob er Sabrinas Blick ausweichen wollte. »Was meinst du damit?« Das klang zickiger als Franziska bei unter siebzig Grad Öchsle.
»Gar nichts. Überhaupt nichts.«
»Dann schnüffle auch nicht herum.«
»Wie bitte?«
Er drehte sich zu Sabrina und sah sie an. Tief in ihm drin musste ein ziemlich großer Schmerz sitzen, denn in seinen Augen schimmerten Tränen. »Lass ihr doch ihre Geheimnisse. Ich verstehe nicht, warum du auf einmal hinter Amelie herspionierst.«
»Das tue ich doch gar nicht!«
»Ihre Freunde nach ihr ausfragen. Die Polizei. Allen und jedem misstrauen. Nur dieser Schiffer, der hat mit allem natürlich gar nichts zu tun.«
»Das ist nicht wahr!«
Lukas legte einen Schein auf den Tisch. »Lass sie ruhen und die Polizei ihre Arbeit tun. Wenn du über jemanden etwas herausfinden solltest, dann über diesen … Kilian?«
»Der ist weg«, flüsterte Sabrina. Zum ersten Mal wurde ihr klar, was das bedeutete. Er war weg. Er würde nie mehr wiederkommen. In die Trauer um Amelie mischte sich ein neuer, scharfer Schmerz. Es war nicht der Verlust. Es war der Verlust der Hoffnung.
»Eben.« Die Bedienung schlenderte vorbei, nahm den Schein und vergaß, das Restgeld zurückzugeben. Lukas achtete gar nicht auf sie. »Wenn es einer von hier gewesen wäre, hätten sie ihn doch schon längst. Die haben doch tagelang jeden Stein umgedreht. Nichts! Kein Fußabdruck, keine Spuren. Sie muss oben auf dem Trampelpfad erschlagen worden sein, und der Täter hat sie dann runtergeschubst. Bis auf den Ranger und seine Helfer und ein paar irre Mondanbeter treibt sich da keiner rum. Schon gar nicht nachts.« Er beugte sich vor. Plötzlich war sein Gesicht sehr nahe. Vor jedem anderen wäre Sabrina zurückgewichen. Doch in Lukas’ Miene stand nichts anderes geschrieben als Sorge. »Es war dieser Schiffer.«
»Nein!« Ein paar Köpfe drehten sich nach ihr um. »Nein«, fuhr sie etwas leiser fort. Es konnte nicht sein, dass alle Welt Kilian als Verdächtigen brandmarkte, nur weil er fremd war. Nur weil er jetzt nicht aufzufinden war. Irgendjemand musste ihn in Schutz nehmen. »Etwas stimmt nicht mit dem Ranger. Er sagt, er hätte Dienst gehabt. Aber das hatte er nicht.«
»Woher willst du das wissen?«
»Weil ich es eben weiß.«
Lukas musterte sie besorgt. »Du spielst doch nicht etwa Detektivin?«
»Und wenn?«
»Sabrina!« Er beugte sich vor. »Das ist gefährlich!«
»Außerdem treibt sich da ein kichernder Gnom herum, der sich einen Spaß daraus macht, die Leute zu erschrecken. Ich habe ihn gesehen und das war wirklich gruselig. Und dann glaubt die Polizei nicht mehr an ein Lastschiff. Plötzlich soll
es ein Boot gewesen sein. Etwas stimmt nicht mit der Werth. Und es hat nichts mit einem Fremden zu tun.«
Sie konnte ihm nicht sagen, wie sehr sie die Gemeinsamkeiten der beiden Morde verwirrten. Es war einfach lächerlich. Dumme Zufälle, wie es sie immer mal wieder gab. Viele Leute hatten Amelie Lilly genannt, aber deshalb hieß sie noch lange nicht Liliane. Und dass die beiden Schiffe ausgerechnet Sehnsucht hießen, hatte auch nichts zu bedeuten. Würde sie es zulassen, dass es einen Zusammenhang gab, wäre automatisch wieder Kilian im Kreis der Verdächtigen. Auch wenn ganz hinten in ihrem Herzen hinter seinem Namen immer noch ein großes Fragezeichen stand – eine
Weitere Kostenlose Bücher