Lilienrupfer
Christian eine SMS.
Guten Abend! Wünsch Dir für morgen einen schönen, aber vor allem kühlen Tag und schick Dir ein paar Küsse. Die allerdings heiß … ganz heiß … Schlaf gut, Undine
Ein paar Minuten später kam die Antwort:
Hey Du! Das ist ja fast schon subversiv, was Du da mit mir treibst. Wie soll ich da noch schlafen? Und dazu gut? Lieber Gruß, Christian
»Wie alt ist Franz eigentlich«, fragte Julia, als sie mich später nach Hause fuhr.
Erstaunt sah ich zu ihr hinüber. Ihre Augen waren geradewegs auf die Straße gerichtet. »Hat er dir das nicht erzählt? Wie merkwürdig. Normalerweise spricht er ausgesprochen gern darüber.«
Sie wandte rasch den Blick zu mir. »Wieso?«
»Weil er danach lechzt zu hören, dass er um Jahre jünger aussieht.«
Julia lachte. »Verstehe. Und wie alt ist er nun?«
»Soweit ich weiß siebenundfünfzig.«
»Er
sieht
jünger aus!«
»Sag ihm das, wenn du ihn wiedertriffst. Das verschafft dir Freikarten für seine Inszenierungen in alle Ewigkeit.«
Sie lachte wieder. »Guter Plan.«
Ich schmunzelte in die Dunkelheit.
Danach schwiegen wir und Julia schaltete den C D-Spieler ein. Irgendetwas Klassisches. Melancholisch, mit ein paar strahlenden Momenten darin. Ich tippte auf Debussy und lauschte. Wir waren kurz vor der Rosenheimer Straße, an der Ampel gegenüber vom Müller’schen Volksbad, als Julia plötzlich in das Perlen einer Klavierpassage hinein sagte: »Glaubst du an irgendein Zeichen, das dich erkennen lässt, dieser eine Mann könnte für dich geschaffen sein?«
»Natürlich glaube ich das.«
»Und welches?«
Verwundert blickte ich sie an. »Wenn ich mich danach sehne, jede Sekunde mit ihm zu verbringen, und es als körperlichen Schmerz empfinde, wenn ich es nicht kann.«
»Aber das hast du doch sicherlich nicht nur bei einem einzigen empfunden. So etwas passiert doch häufiger. Nein, ich meine, gibt es irgendetwas, das einen die Augen aufreißen und sagen lässt: ›Das ist es?‹«
Ich schwieg einen Moment und plötzlich erinnerte ich mich wieder an die Geschichte, die ich damals im Krankenhaus gelesen hatte. Die vom roten Band des Mondes, das zwei Auserwählte zueinanderführt. Und dann dachte ich an Christian und an das Licht, das mich durchzuckt hatte, als ich ihn in diesem Café gesehen hatte. Aber es war nur ein Gefühl gewesen, etwas, das jeglicher Vernunft entbehrte. Das romantische Mädchen in mir wünschte sich Bestätigung, während mein Verstand empfahl, diesem Hokuspokus nicht zu trauen.
»Ich habe keine Ahnung«, antwortete ich deshalb und fügte plötzlich doch hinzu: »Doch! Wenn ein Mann, den ich so unwiderstehlich anziehend fände, dass jede verlorene Sekunde körperlichen Schmerz bereitet, zudem Somerset Maugham zitieren könnte.«
Julia starrte mich an, als trüge
ich
Heinrichs Eselskopf. »Erklär mir das bitte genauer!«
»Symbiose«, antwortete ich schlicht. »Symbiose in jeder Beziehung. Darum geht es doch. Zumindest mir. Die körperliche und die geistige. Was nutzt einem die berauschendste Nacht, wenn man beim Frühstücksei nicht mehr spricht?«
»Und Somerset Maugham?« In Julias Stimme schwang ein Hauch von Zweifel mit, den ich einfach überhörte.
»Und Somerset Maugham – sagte ich das nicht schon einmal?– liebe ich. Die Eleganz seiner Sprache, seine Geschichten, die Art, wie er seine Figuren betrachtet.«
»Wie denn?«, unterbrach Julia mich in meinem Schwärmen.
»Mit Ironie und Humor. Gleichzeitig schenkt er ihnen mehr Verständnis und Mitgefühl als irgendein anderer. Seine Geschichten sind eine perfekte Verbindung aus Spannung, philosophischer und psychologischer Tiefe. Mit seiner Weltsicht spricht er mir direkt aus der Seele.« Ich hielt einen Moment inne und schwieg nachdenklich, bevor ich fortfuhr: »Wenn ich also nun jemanden träfe, der mich ohnehin bis zum Wahnsinn anzieht und der sich zudem selbst in Maughams Worten wiederfindet – es wäre ein Zeichen. Ich sähe in dieser Mischung etwas Verbindendes, Erfüllendes, eine Art Spiegel, dieselbe Sprache, etwas, das mich nicht einsam werden lassen kann. Jemanden, der mich
versteht
und so dieses uneingeschränkte ›Ja! Ja! Ja!‹aus mir herausplatzen lässt. Jemand, der mir nah ist, auch wenn er in Wirklichkeit weit weg ist. Heimat, könnte man sagen. Und da will ich hin.«
»Soso«, machte Julia nachdenklich, »das klingt sehr schön und sehr idealistisch.«
»Das ist das Problem dabei. Aber ich bin nicht der Mensch, der eine
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