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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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See küsste, hatte sich plötzlich etwas verändert. Seine Küsse waren nicht mehr so drängend und hungrig. Sie waren sanft, bedachtsam, unterbrochen von kleinen Pausen, in denen er mich stumm und mit Strahlenkränzchen um die Augen ansah. Er hat sich verliebt, dachte ich irgendwann, bevor ich meine Tunika nahm und sie wie ein Zelt über unsere Köpfe schlug, um uns vor der Sonne zu schützen. Darunter küssten wir uns weiter. Stundenlang. Und ich dachte nicht an feste Bindungen, an gemeinsame Urlaube und Wohnungen, ich dachte an nichts, was irgendwie Verpflichtung verhieß. Alles, woran ich dachte, und alles, was ich wollte, war ewig hier im Gras zu liegen und ihn zu küssen.
    »Weißt du, was ich am Verliebtsein noch immer am schönsten finde?«, flüsterte ich irgendwann, meine Gesicht an seinem Hals.
    »Was denn?«
    »Die präkoitale Phase. Das Prickeln. Die Aufregung.«
    »Die prä   … was?« Dann hatte er verstanden und hob erwartungsvoll den Kopf. »Bist du denn in einer?«
    »Das ist so gut wie sicher.«
    Statt einer Antwort brachte er ein schnurrendes Geräusch hervor. Ich lachte und zog seinen Kopf zu mir herab.
    »Es wäre gut«, flüsterte ich ihm ins Ohr, »sie würdenoch ein bisschen dauern. Es ist wie als Kind kurz vor Weihnachten.«
    »Dann werde ich mal sehen, was ich tun kann, damit der Baum nicht allzu schnell zum Leuchten kommt.« Er strich mir das Haar aus der Stirn, wir schwiegen, aber in unseren Augen stand alles. Ich legte meine Hand an seine Wange und ging in meinen Gedanken zurück zu unserer ersten Begegnung. »Lilienrupfer«, sagte ich leise.
    Um seine Augen bildeten sich wieder diese kleinen Strahlen, die ich so sehr mochte. Seine Nase stupste an meine: »Apfelchili.«
    »Apfel-?«
    »Apfelchili. Ich muss dauernd daran denken, wenn ich dich sehe.«
    »Warum? Es klingt sehr hübsch, aber ich habe keine Ahnung, was es sein soll.«
    »
Es ist eine Chilisorte. Ich kenne sie von einem Urlaub in Bolivien. Ein bisschen größer als eine Cocktailtomate. Rund, knackig, ein feuriges Rot, sehr fruchtig, fast süß und plötzlich, wenn man es gar nicht mehr erwartet, wird es sehr scharf. Ein echtes Früchtchen könnte man sagen.«
    »Und so siehst du mich?«
    »Hm.«
    »Mmmmh«, gab ich zurück und drückte mich enger an ihn. »Was für eine wilde Kombination wir beide doch sind.«
    »Wild und hoffnungsvoll.«
    »Hoffnungsvoll, ja? Meinst du wirklich?« Mein Herz klopfte plötzlich schnell.
    Einen Augenblick lang blieb er still, dann nickte er. »Ja, wirklich. Glaubst du nicht?«
    »Doch. Doch, ich auch.«
     
    Gegen Abend fuhren wir in ein Gartenrestaurant direkt am Starnberger See, wo mich die Atmosphäre seit jeher an Monets ›Die Terrasse am Ufer‹ erinnert. Es war so schön – ich hätte fast vergessen können, dass es Montage gab.
    Wir bestellten Weißwein, Fisch und Salat, unterhielten uns ohne Pause, stellten fest, dass wir beide Tschaikowsky mochten, Spaziergänge in der morbiden Stimmung des Sees im Winter und dass wir unsere katholische Erziehung verabscheuten, der zu verdanken war, dass wir als Kinder vierwochenweise zur Beichte gehen mussten. Es hatte nie ein Entkommen gegeben.
    »Ich benutzte jedes Mal denselben Sündenzettel«, grinste Christian. »Jahrelang hab ich in diesem Beichtstuhl denselben Blödsinn verzapft. Lange Zeit hegte ich sogar den Verdacht, ich würde einer Art Roboter zuraunen, dass ich Unkeusches gedacht und Süßes gegessen hätte, wenn da nicht die variierende Anzahl der Straf-Vater-Unser gewesen wäre.«
    Ich lachte und sagte: »Ich hab jedes Mal noch vier oder fünf Gebete angehängt. Um ganz sicherzugehen. Und wenn ich später aus der Kirche kam, bin ich nach Hause gehüpft, weil ich mich tatsächlich erleichtert fühlte.«
    Christian schmunzelte. »Das glaube ich dir sogar aufs Wort.«
    Irgendwann stand er auf, um Zigaretten zu holen. Mein Blick folgte ihm zum Restaurant, und als ich ihn zurückkommen sah, lachte ich ihm entgegen. Sein Gesicht über dem grünen T-Shirt leuchtete, sein Haar war verstrubbelt, und über die anderen Gäste hinweg strahlten wir uns an. Ich war glücklich in diesem Augenblick und stolz, dass er mit mir zusammen war. Ich habe dieses Bild nie vergessen. Ich kann es herbeiholen, wann immer ich will.
     
    Gegen elf in der Nacht brachte er mich nach Hause. Ich rannte die Treppen zu meiner Wohnung hinauf, schaltete den Rechner ein, ging ins E-Mail -Programm, klickte auf »Anhang«, dann auf »Eigene Musik« und schließlich auf

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