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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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plötzlich das Telefon auf dem Schränkchen neben der Wanne klingelte, schnalzte ich wie ein Fisch aus dem Wasser und schnappte danach.
    Endlich.
    Christians Stimme.
    »Undine?«
    »Ja.« Ich hörte, wie er sich räusperte.
    »Ich dachte, es wäre an der Zeit, mich bei dir zu melden. Ich wollte dich nicht länger warten lassen.«
    So, das wolltest du nicht? Wie rücksichtsvoll von dir, mich nach mehr als vierundzwanzig Stunden zu erlösen. Ich verkniff mir die Worte. »Aha«, sagte ich stattdessen nur.
    Einen Moment lang blieb es still in der Leitung, dann räusperte er sich wieder. »Ich weiß, ich hab mich scheiße verhalten. Du hast allen Grund, stocksauer zu sein.« Ich hörte sein Feuerzeug klicken. »Aber ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
    Je mehr er sagte, desto mehr schnürte es mir das Herz ab. Mir war klar, was folgen würde, und ich hätte am liebsten ohne ein weiteres Wort aufgelegt. Ich wollte untertauchen, davongleiten in irgendein dunkles Meer, das mir Vergessen bot. Aber eine winzige Hoffnung zwang mich, am Hörer zu bleiben. Ich holte Luft und sagte: »Christian, ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Und das, was ich antworten könnte, würde mich nur in die Rolle der Gedemütigten zwingen, und das habe ich nicht verdient. Sag mir einfach, was los ist.«
    »Ich kann es nicht, Undine. Ich kann es nicht. Ich bin nicht bereit für eine Beziehung. Es klingt vielleicht eigenbrötlerisch, aber ich will mein jetziges Leben nicht aufgeben, ich habe mich gut darin eingerichtet. Seit vorletzter Nacht habe ich nichts anderes getan, als darüber nachzudenken. Ich hab mich immer wieder gefragt, ob es das ist, was ich will, ob ich mich in dich verliebt habe. Aber ich habe mich nicht verliebt. Es geht nicht mit uns. Ich wäre nicht mit dem Herzen dabei. Es wäre unfair dir gegenüber.«
    Ich schwieg. Aber in meinem Kopf schrie es. Du willst keine Beziehung? Du bist nicht bereit dafür? Weshalb sprichst du dann überhaupt Frauen an? Sprichst mich an?Weshalb lässt du mich wochenlang in dem Glauben, es läge dir etwas an unserer Geschichte, es läge dir etwas an mir? Hast du denn nicht begriffen, dass Sex in diesem Fall nicht nur Sex für mich war, dass ich mich in dich verliebt habe? Natürlich hast du das! Also, wie kannst du alles so weit kommen lassen und mir das jetzt antun? Du hast mich mitten ins Gesicht geschlagen, als ich am glücklichsten lachte.
    Aber das alles sagte ich nicht. Mein Stolz ließ mich nicht im Stich. Und dann fiel mir abstruserweise ein Zitat aus ›Königin Luise‹ ein: »Haltung, Majestät, Haltung.«
    »Undine? Bist du noch da?«, hörte ich Christian plötzlich fragen.
    »Ja.«
    »Warum sagst du nichts?«
    »Was soll ich denn sagen? Dass ich dich verstehe und dir verzeihe? Das wäre gelogen.«
    »Nein, ich weiß nicht   … Es tut mir leid, dass ich dich enttäuschen muss. Es hat nichts mit dir zu tun. Du bist eine wunderbare Frau, aber   …«
    »Stopp«, fiel ich ihm ins Wort. »Hör sofort mit diesem Mist auf.« Ich wollte diesen Du-bist-eine-wunderbare-Frau-Satz nie wieder in meinem Leben hören. »Du hast bereits alles gesagt, Christian. Du kannst die Phrasen lassen, sie machen’s nicht besser, nur unwürdig. Es gibt nichts, was ich darauf antworten möchte. Und selbst wenn, was würde es ändern? Nichts, oder? Überzeugungsarbeit liegt mir nicht, weißt du? Ich will nur das, was freiwillig kommt.« Ich wunderte mich selbst über diese Sätze, die meinen Mund so wohltemperiert- und formuliert verließen. Wo nahm ich die her? Innerlich verkrampfte ich mich doch und unterdrückte mit Mühe das Weinen. Ich brauchtealle Kraft, dagegen anzugehen, aber ich hätte ihm nicht eine Träne gegönnt. Ich holte Luft und sagte schließlich: »Ich möchte nicht mehr reden. Mach’s gut, Christian.«
    »Du auch, Undine.« Ich wartete auf das Klicken in der Leitung, aber es kam nicht. Stattdessen sagte er unvermittelt: »Es muss ja nicht so sein, dass wir einander nicht grüßen, wenn wir uns sehen.«
    »Ich bin sicher, das lässt sich umgehen. Die Stadt ist groß genug.«
    »Undine, bitte, sei mir nicht böse.«
    »Mach dir keine Sorgen.« Und dann sagte ich noch einmal: »Mach’s gut.« Aber er blieb in der Leitung, wiederholte sich zusammenhanglos, stolperte durch die Sätze, redete immer weiter, als wollte er das Ende, so lange es ging, verzögern.
    Irgendwann unterbrach ich ihn und sagte ruhig: »Christian, ich habe lange genug Haltung bewahrt. Ich lege jetzt auf.« Und das

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