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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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nicht zum ersten Mal einem solchen »Flüchtling« begegnet.
    Bald bin ich siebenunddreißig. Noch drei Jahre bis vierzig. Noch dreizehn Jahre bis fünfzig. Und dann?
    Noch immer die Flüchtlinge? Noch immer dieselben Fragen? Und niemandes Frau, niemandes Mutter undirgendwann – wenn meine Eltern gestorben wären – niemandes Kind mehr?
    Die Zeit vergeht so rasend schnell.
    Manchmal ist die Angst sehr groß
    Kennst Du das, Robbie? Geht es Dir manchmal auch so? Was tust Du in so einem Fall?
    Ich ging zu einer Therapeutin.
    Aber ob mich das weiterbringt? Das dauernde Rumgehacke auf meinem Vater, der mich in meiner emotionalen Prägung angeblich auf dem Gewissen hat und mitschuldig an diesem Desaster sein soll? Ich weiß nicht   …
    Gestern, nach meinem zweiten Besuch bei Frau Königstein, traf ich mich mit Till in einem Café in der Schwabinger Georgenstraße. Er war schon da und erwartete mich an einem der Stehtische.
    »Wie war es?«, fragte er. »Irgendetwas Essentielles herausgefunden?«
    Ich schüttelte den Kopf und lächelte mutlos.
    »Verdammt, Undine«, kommentierte er meine Bewegung, »ich finde, an dir ist überhaupt nichts falsch. Du hattest eben bislang kein Glück. Sieh mich an und viele andere. Es ergeht uns doch nicht anders. Willst du uns etwa alle zum Therapeuten schicken? Christian ist gestört, nicht du!«
    »Ist doch allgemein bekannt, dass Opfer viel häufiger Hilfe suchen als Täter«, antwortete ich. »Denen tut ja auch nichts weh.«
    »Sag das nicht«, erwiderte Till mit schiefem Grinsen. »Manchmal können sie eben nicht anders und wissen nicht einmal warum. Und auch das kann schmerzhaft sein.«
    »Aber sie tun nichts, um etwas zu ändern. Und das immer schön auf Kosten der anderen.«
    »Das ist wohl wahr«, gestand er ein und sah mich jetzt hilflos an. »Ich wünschte nur, ich könnte dir helfen. Damit es dir wieder besser geht.«
    Für einen kurzen Moment dachte ich daran, wie seltsam er sich benommen hatte, als es mir noch gut gegangen war, aber ich schrieb es der Angst zu, die wohl häufig unter Freunden grassiert, wenn der eine im Begriff ist, sich zu verlieben, und der andere glaubt, allein zurückgelassen zu werden.
    »Sei einfach da. Das reicht schon«, sagte ich deshalb nur.
    »Das bin ich ja«, antwortete er und zog mich an sich. »Komm, lass dich mal drücken.«
    Und genau in diesem Moment, als seine Arme sich fest um mich legten und mein Kopf an seiner Schulter lag, sah ich in Christians Augen. Er stand gegenüber an der Theke, während eine blonde Frau im violetten Kostüm auf ihn einsprach und sich Notizen dabei machte. Eine Lektorin oder Autorin vielleicht.
    Mit weichen Knien löste ich mich von Till und stammelte: »Sieh jetzt bitte nicht hin, aber hinter dir am Tresen steht Christian.«
    »Was?«
    »Nicht hinschauen«, zischte ich und drehte mich selbst so, dass ich nicht gezwungen war, fortwährend zu ihm hinzusehen. »Ich habe keine Ahnung, wie lange er schon da ist. Ich habe ihn eben erst entdeckt.«
    »Willst du hingehen?«
    »Auf keinen Fall. Was sollte ich denn sagen?«
    »Nichts. Du hast recht.« Till senkte konspirativ die Stimme. »Wo genau steht er denn?«
    »Direkt hinter dir. An der Ecke der Bar. Graue Schläfen, dunkler Anzug. Blonde Frau daneben.«
    So unauffällig wie möglich spähte Till in Christians Richtung.
    »Jetzt hat er noch einmal hergesehen«, sagte er nach ein paar Minuten. Ich zuckte die Achseln. Na, wenn schon. Ein paar Minuten später sah ich, wie Christian zahlte und seine Begleitung zum Hinterausgang dirigierte. Sein angespannter Nacken und das durchgedrückte Kreuz sprachen Bände. So viel zu seinem: »Es muss ja nicht so sein, dass wir einander nicht grüßen, wenn wir uns sehen.«
    »Was für ein feiger Arsch«, sagte Till.
     
    Dir, mein Lieber, eine gute Nacht.
    Undine
    ***
    »Wenn ich an den Schmerzen unerwiderter Liebe litt, habe ich unverzüglich einen Ozeandampfer bestiegen

    Diesen Satz aus Maughams ›Auf Messers Schneide‹ habe ich schon einmal beherzigt und war wegen des beklagenswerten Endes einer Liebesgeschichte zwar nicht über die Meere gekreuzt, aber an den Comer See gefahren. Und es stimmte: Mit jedem Kilometer, den ich mich von zu Hause fortbewegte, wurde mir leichter ums Herz, und diese eine Woche, die ich in einem Hotel in Varenna verbrachte, dessen Mauern noch der Renaissance entstammten, war weitaus erfreulicher gewesen, als ich das von der Zeit mit dem betreffenden Mann sagen konnte. Das Unglück verflüchtigte

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