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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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sich.
    Ich beschloss, nach dieser Szene im Café, noch einmal auf diese Empfehlung zu hören. Ich würde zu Julia in die Toskana fahren. Sie hatte bestimmt nichts dagegen.
    Ich rief Louisa an, eine Studentin der Theaterakademie, die schon oft für uns gearbeitet hatte und sich auch jetzt schnell bereit erklärte, die Abendspielleitung für die gesamte Woche zu übernehmen, setzte am nächsten Morgen Friedmann davon in Kenntnis und sagte ihm, ich brauche dringend eine Woche Urlaub. Inzwischen war er wieder auf dem Damm und konnte einigermaßen auf mich verzichten. Er musterte mich kurz und sagte:
    »Geht in Ordnung«.
    Danach rief ich bei Julia an, doch das Telefon klingelte ins Leere.
    Ich wollte es später noch einmal versuchen und ließ inzwischen am Bahnhof eine Karte nach Chiusi reservieren. Von dort würde ich dann ein Taxi nach Montefollonico nehmen, oder Julia holte mich ab.
    Als ich gegen vier das Theater verließ, war es das erste Mal seit Wochen, dass ich mich freute. Ein anderes Land und ich ein anderer Mensch, sprach ich mir zu und fuhr in die Innenstadt, um mir noch eine Tunika und ein Paar Sandaletten zu kaufen.
    Zu Hause packte ich meinen Koffer, rief Till an und lud ihn zur Einstimmung auf Italien zu Linguini mit Steinpilzen ein. Anschließend versuchte ich es noch einmal bei Julia. Sie meldete sich noch immer nicht, aber auf ihrem Münchner Anrufbeantworter teilte sie mit, dass sie erst zum fünfundzwanzigsten Juni wieder zurück sein würde. Wahrscheinlich war sie unterwegs oder saß im Garten und las. Ich würde sie schon treffen. Und wenn nicht, dann konnte ich mir immer noch irgendwo ein Zimmer nehmen.
    Hauptsache, fort aus dieser Stadt.
    ***
    Datum: 16.   Juni 2007 23.11   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Italien   …
     
     
    Robbie, caro!
     
    Ich bin abgehauen! Habe dieser Stadt einfach den Rücken gekehrt und bin nach Italien gefahren, in die Toskana, zu Julia.
    Gestern Morgen erreichte ich kurz nach sechs den Hauptbahnhof, fuhr neun Stunden bis Arezzo, stieg dort um und kam knappe sechzig Minuten später müde und mitgenommen in Chiusi an. Dummerweise hatte ich vergessen, mein Handy aufzuladen, so dass ich Julia unterwegs nicht mehr anrufen konnte. Das Bordtelefon hatte mir dreimal irgendwelche Auskünfte auf Italienisch gegeben, die ich nicht verstand, mich aber nicht mit Julia verbunden. In Chiusi war ich zu müde, nach einer Telefonzelle zu suchen, und nahm einfach ein Taxi, nannte die Adresse und schlief fast augenblicklich ein. Kurz vor Montefollonico weckte mich der Fahrer, weil er wohl fand, ich dürfe die Aussicht auf das mittelalterliche, von Laubwäldern umgebene Dorf nicht versäumen. Und natürlich hatte er recht. Der Anblick der verwitterten Häusermauern, in das typisch rotgoldene Licht der Gegend getaucht, war einer jener Höhepunkte, die man sich von der Toskana erhoffte und die sie auch großzügig bot.
    Zehn Minuten später hielten wir vor einem schmalenzweistöckigen Natursteinhaus umgeben von einem großen Garten. Rote Geranien und Margeriten umkränzten Fenster und Haustür, die geschlossenen Holzläden waren dunkel gestrichen – in drei Worten: It was amazing.
    Ich bezahlte den Fahrer, nahm meinen Trolley, schritt über den knirschenden Kies der Zufahrt und klingelte. Niemand öffnete, aber durch die dicken Mauern des Hauses meinte ich, Stimmen zu hören. Ich klingelte noch einmal und rief Julias Namen.
    Noch immer rührte sich nichts. Auf gut Glück drückte ich schließlich gegen die schwere Holztür und sie sprang auf. Es war kühl und dunkel drinnen, und aus dem oberen Stockwerk klang wieder die Stimme, diesmal allerdings deutlicher: Ein Mann sang aus Leibeskräften eine mir unbekannte Melodie.
    Ich rief noch einmal nach Julia, doch gegen das atonale Gedröhn von oben kam ich nicht an. Entweder, dachte ich, bin ich im falschen Haus oder Julia ist nicht hier und hat das Haus stattdessen einem sangesfreudigen Freund überlassen. Der Mann sang immer lauter und klatschte jetzt im Takt dazu in die Hände. Am liebsten hätte ich lauthals gelacht.
    Ich ließ den Trolley stehen und machte mich zögernd auf den Weg nach oben. Die Tür des Zimmers, aus dem der Gesang kam, war nur angelehnt und höflich klopfte ich an. Als niemand antwortete, der Mann aber weiter röhrte und klatschte, stieß ich die Tür einfach auf.
    Ach, Robbie, keine Ahnung, wen ich zu entdecken geglaubt hatte – mit dem, was sich meinen Augen bot, hatte ich jedenfalls

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