Lilienrupfer
gleich. Seine Tochter sei krank geworden und er fliege in vier Stunden zurück nach London. Seine Frau sei in ziemlicher Sorge.
Ich erwiderte irgendwas, das mitfühlend klingen sollte, und wünschte einen angenehmen Flug und gute Besserung. Kurz bevor wir auflegten, sagte ich: »Christian hat mir geschrieben. Er will den Tauschhandel nicht.«
»Ich weiß«, antwortete ____. »Ich weiß.«
»Not much we can do, right?«
»No, not much we can do.« Und dann nach einer kleinen Pause: »I’ll call you from London, okay?«
»Okay. Fine.« Wir legten auf.
Seine Frau, dachte ich schließlich. Seine Tochter. Klar, es war immer dasselbe.
Als ich am Abend nach Hause kam, hörte ich dreimalhintereinander Rebekka Bakkens ›Everything can change‹. Ich fragte mich, ob sie recht hatte. Denn oft erschien es mir, als würde der Kern der Dinge immer bleiben und nur das Gehäuse wechseln.
***
Es vergingen ein paar Tage, in denen nichts Besonderes passierte. Draußen war es für diese Jahreszeit viel zu warm und es regnete beständig vom bleistiftgrauen Himmel. Ich war müde und schlapp.
An einem dieser Tage steckte ›Lily Picker‹ im Briefkasten. Anette Schmitt hatte die Notiz daran geheftet, dass Christian das Buch wie geplant übersetzen würde, was ja auch in Ordnung sei, da der bisherige Erfolg der Romane ja auch ihm zu verdanken war.
Ich bedankte mich per E-Mail für das Buch und schwieg zu allem anderen. Es war sinnlos, das Thema weiterzuverfolgen, und ich wollte nicht mehr darüber nachdenken, sondern es nur noch ausradieren wie den missratenen Strich in einer ansonsten sauberen Zeichnung. Als ich Julia davon erzählte, blies sie die Backen auf, ließ die Luft wieder heraus und sagte anschließend: »Ich fände es ehrlich gesagt nicht schlecht, wenn der das liest.«
»Spinnst du?«
»Manchmal schon. Jetzt mal im Ernst, warum soll sich dieser Mensch nicht mit dem auseinandersetzen, was er anderen antut? Weshalb soll er nicht wissen, wie es in dir ausgesehen hat? An deinen Gefühlen ist doch nichts Ehrenrühriges oder Beschämendes. Lass es ihn sehen. Er soll sich ruhig damit auseinandersetzen. Das schadet ihm nicht. Und dir auch nicht.«
»Begreifst du denn nicht, warum …«
»Natürlich begreife ich es! Es ist immer demütigend, diejenige zu sein, die verlassen wurde. Selbst wenn der andere hundertmal das Arschloch ist. Und natürlich willst du nicht, das er dich in diesem Buch so verletzlich, nackt und bloß sieht. Inzwischen ist das aber ohne Bedeutung, Undine, denn er
hat
dich bereits verletzt. Und je mehr du dich davonstehlen willst, je lieber du unsichtbar sein möchtest, desto kleiner machst du dich. Du solltest aber stolz auf dich sein – du hast aus deinem Schmerz etwas Berührendes und Bezauberndes gemacht. Auf einem Haufen Mist ist buchstäblich eine wunderschöne Lilie gewachsen. Sieh es dir doch an – wer kann das schon von sich behaupten?«
»Nick Hornby vielleicht?«, antwortete ich lächelnd. Wie sie da stand, Leidenschaft in den Augen, die rechte Hand zur Faust geballt, so flammend und mitreißend, fast hätte ich die ›Marseillaise‹ angestimmt. Aber ich senkte den Blick und sah es mir an. Dieses Buch. Den Schutzumschlag in Weiß, darauf in üppigen rosa Lettern
Lily Picker
. Links darunter die Blüte einer Lilie und darum herum, wie Stickerei, filigrane Blütenranken.
Es wirkte zärtlich und heiter, romantisch, ohne kitschig zu sein. Ich hoffte, Römer würde in der deutschen Ausgabe nicht sehr davon abweichen.
Es war ein merkwürdiges Gefühl, in ____s warmherzigschnoddriger Sprache über diese Jane zu lesen und zu wissen, dass ich selbst damit gemeint war. So, als wäre ich einen Schritt zurückgetreten und beobachte mich selbst. An meinen E-Mails war nicht viel geändert worden, größtenteils waren sie sogar wörtlich übersetzt.
›Lily Picker‹ war ein schönes Buch geworden, anrührend, heiter, witzig, bitter-süß, mit einem offenen Ende,das jedem die Möglichkeit gab, die Figuren dahin gehen zu lassen, wo er sie sehen wollte.
Julia hatte recht: Ich durfte stolz darauf sein.
***
Christian hatte nicht geantwortet. Hatte ich es erwartet?
Ehrlich gesagt: Ja.
Das kleine Mädchen, das sich Prinzen und Wunder wünscht, bleibt ein Leben lang Teil einer weiblichen Seele. Selbst bei denen, die das nicht von sich glauben.
Es kam allerdings Post von einem anderen. Von einem, der früher mein Prinz gewesen war.
Hannes.
Neben dem üblichen Blabla über Familie und Beruf
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