Lilienrupfer
mir leid, wenn ich mich wiederhole – und bitte unterstelle mir ruhig fehlendes Einfühlungsvermögen –, aber es ging aus Deiner Reaktion einfach nicht hervor. Hinzu kam noch, dass ich Dich ein paar Wochen später in diesem Schwabinger Café gesehen habe, Du erinnerst Dich sicherlich noch an diesen Moment, als Du mich über die Schulter dieses Typen ansahst, der Dich so fest an sich gedrückt hielt. Was sollte ich denken, außer dass ich rasch ersetzt worden war. Ich habe damals übrigens den Hinterausgang genommen, weil ich ein triumphierendes Lächeln erwartet habe und fürchtete, es nicht sonderlich gut zu verkraften.
Durch dieses Buch, den ›Lily Picker‹, ist mir – wenn auch spät – erst klar geworden, wie unverständlich und verstörend mein Verhalten für Dich war. Bitte glaub mir, wenn ich sage: Ich schäme mich dafür. Denn es ist so: Du hast nichts, aber auch gar nichts getan, was irgendeines meiner Worte oder diesen Abend gerechtfertigt hätte. Undes ist richtig, mir Egoismus vorzuwerfen, denn ich habe damals nur mich gesehen, mich und diese verfahrene bis schreckliche Situation, in der ich mich befand.
Nein, es ist nicht meine Absicht, mich geheimnisumwittert zu geben, es ist nur so, dass ich das eine nicht erklären kann, ohne das andere
auch
anzuführen. Aus diesem Grund überlege ich, ob ich an dieser Stelle mit meinen Erklärungen fortfahren soll oder ob es geschickter wäre, Dir ein Treffen vorzuschlagen, um Dir alles persönlich zu sagen. Ganz ehrlich: Letzteres würde ich bevorzugen. Weil mir ein Dia- lieber wäre als ein Monolog. Weil ich mir mehr davon verspreche als von einer E-Mail , die ein Erklären zwischendurch unmöglich macht, und ja, weil ich das Bedürfnis habe, mich, so gut es eben geht, reinzuwaschen. Dafür brauche ich aber Deine Reaktion. Die echte. Nicht die mailgefilterte.
Klingt das schon wieder egoistisch? Soll es nicht. Natürlich nicht. Bittend soll es klingen, auf Verständnis hoffend und vor allem ehrlich.
Ich kann’s nicht besser, aber ich meine es gut.
Vielleicht schreibst Du zurück. Vielleicht sagst Du auch Ja.
Ich würde mich freuen.
Liebe Grüße
Christian
***
Am übernächsten Tag fuhr ich mit einer Freundin nach Schloss Linderhof. In der Luft lag schon manchmal der Duft nach Frühling, der lange Winter verzog sich nur murrend,doch allmählich wurde es milder, und in den Vorgärten feixten Primeln, Leberblümchen und Märzenbecher. Birgit, die ich seit der Zeit meines Studiums kannte, arbeitete inzwischen als Pressesprecherin bei einer Filmproduktion in Köln und hatte für eine Woche in München zu tun. Wir beschlossen, an diesem Samstag die Stadt hinter uns zu lassen und der aufgrünenden Natur ein Stück entgegenzufahren.
Das helle Barock-Schlösschen war der Lieblingsort Ludwigs II. gewesen, und warum war nicht schwer zu verstehen. Umschlossen von Bergen lag es in einem Park, inmitten an italienischer Renaissance orientierter Terrassen und Treppen, Brunnen mit baumhohen Fontänen, Putten und Skulpturen. Mediterraner Charme und Elan vergnügte sich leichtherzig mit alpiner Rauheit, die Wirkung war zauberhaft, und wie früher den König fing sie auch mich immer wieder ein.
An diesem Tag allerdings blieb ich weitgehend unberührt davon, es fiel mir schwer, auf Birgits Begeisterungsrufe einzugehen. Christians Worte trieben durch meinen Kopf wie führerlose, schaukelnde Boote – ich wusste nicht, wie und wo ich sie festmachen sollte. Sie ließen mich nicht kalt, im Gegenteil, sie trafen mich mitten ins Herz. Ich wollte Christian nicht wieder vertrauen, aber gleichzeitig brannte ich darauf zu hören, was er zu sagen hatte. Ich hatte mich noch nicht entschließen können, ihm zu antworten. Ich hatte weder mit Till darüber gesprochen noch mit Julia, und Birgits bestürzte Blicke konnte ich mir gut vorstellen. Ich zog es weiterhin vor zu schweigen und lachte, als Birgit in der Venusgrotte in Entzücken ausbrach und sich schwärmerisch vorstellte, wie Ludwig einst im Lohengrin-Kostüm über den kleinen See gefahren war,während von den Felswänden die Tannhäuser-Ouvertüre rauschte. Ich sagte ihr nicht, dass Wagners Werk zwar heutzutage für Besucher vom Band gespielt wurde, der König allerdings nicht in diesen Genuss gekommen war, sondern stattdessen sein Schwanenboot in aller Stille über den See gesteuert hatte, da es zu dieser Zeit das Grammophon erst noch zu erfinden galt.
Der Tag verlief in harmonischem Schlendrian, ich war stiller
Weitere Kostenlose Bücher