etwas essen, war ich den beiden gegenüber nicht immer frei von Neid. Sie schienen mir wie Gefährten, die sich bei aller Gelassenheit nach wie vor begehrten.
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Anfang März fuhren meine Eltern in Skiurlaub. Danach wollten sie Freunde auf den Schären besuchen. Vorher lieferten sie allerdings »die Schätze« bei mir ab. »Die Schätze« war ein Wellensittichpärchen namens Caroline und Mr Briggs. Seit fünf Jahren erfüllten die beiden denGluckendrang meiner Mutter und das Spaßbedürfnis meines Vaters, wobei ich den Eindruck hatte, als lebten die vier tatsächlich in einer synergetischen Verbindung. Die Namen entstammten dem Lieblingsroman meiner Mutter, Elisabeth von Arnims ›Verzauberter April‹. Auf den letzten Seiten entdeckten Caroline und Mr Briggs, dass sie einander deshalb so brauchten, weil sie nur durch den anderen die sein konnten, die sie in ihrer Seele waren. Eine Symbiose, die meine Mutter auch den beiden Sittichen unterstellte, weshalb sie ihnen diese Namen gab. Ich fand sie schlichtweg süß und suchte den Vögeln ein helles Plätzchen im Wohnzimmer und freute mich an ihrer tirilierenden und keckernden Gesellschaft.
Ein paar Tage später stand ich abends in der Küche und schnitt kleine Artischocken für eine Pastasauce zurecht. Till wollte zum Essen kommen, ein Chardonnay stand im Kühlschrank und über den Rechner hörte ich »Klassik Radio«. Während Caroline und Mr Briggs dazu trällerten und ich dicke Zitronen in Scheiben schnitt, erklang plötzlich ein Lied, das so bewegend war, dass ich innehielt und dieser Engelsstimme und den Streichern lauschte, bis der letzte Ton verklungen war. Danach googelte ich den Refrain und fand es. ›Slumber my darling‹ von Alison Krauss. Ich eilte weiter zu Amazon, klickte wieder und hatte es gekauft. Zufrieden ging ich zurück in die Küche, als mein Computer mich mit neuer Post zurückrief.
Ich las und vergaß darüber die Artischocken und Zitronen. Ich las und blieb, als ich fertig war, wie versteinert sitzen. Ich war völlig durcheinander, denn mit allem hatte ich gerechnet, nur damit nicht.
Dagegen
war ich nicht gewappnet. Nicht gegen Freundlichkeit, nicht gegen Verständnis, nicht gegen Ehrlichkeit.
Datum: 14. März 2008 18.47 Uhr
Von:
[email protected] An:
[email protected] Betreff: Ins Eingemachte
Liebe Undine,
es erstaunt mich selbst, dass ich Dir schreibe. Aber eigentlich nur deshalb, weil ich so etwas bisher noch nie getan habe, zumindest nicht aus dieser Motivation, die mich heute bewegt.
Inzwischen habe ich den ›Lily Picker‹ ganz gelesen. Das tue ich immer – ein Buch ganz lesen –, bevor ich mit der Übersetzung beginne, einfach um zu sehen, wohin die Reise geht. Diese Reise ging ins Eingemachte. Obwohl ich anhand des Titels schon wusste, dass ich wohl Bekanntes darin vorfinden würde, hatte ich so nicht damit gerechnet. Was zugegebenermaßen blöd von mir war, denn ich weiß doch, dass ____s Romane, trotz ihrer Ehrfurchtslosigkeit der Sprache gegenüber, nie nur an der Oberfläche kratzen, sondern dass sie weise, klug und intensiv an allem rühren, was uns angeht. Das ist seine große Qualität und ich Ignorant hatte das ausgerechnet bei diesem Buch vergessen.
Im Grunde warst Du es ja, Undine, die mich so vollkommen in der Gestalt dieser Jane überrascht hat. Denn diese Jane oder besser gesagt Undine ist innerlich ganz anders, als man von außen annimmt.
Und diese Diskrepanz – ja, ich möchte dieses Wort benutzen – ist in unserer Geschichte der Knackpunkt.
Als ich damals zum letzten Mal mit Dir telefonierte, hatte ich nicht den Eindruck, dass ich Dich mit allem sonderlichtraf. Fast die ganze Zeit über bliebst Du stumm, und wenn Du etwas sagtest, dann klang es kühl. Nicht berührt, nicht verzagt, nicht traurig oder verstört. Verstehe mich jetzt bitte nicht falsch, ich werfe Dir nicht im Nachhinein fehlende Theatralik vor, ich will damit eigentlich nur sagen: Ich hatte keine Ahnung, WIE nahe Dir das alles eigentlich ging. Du hattest es zu gut versteckt.
Natürlich hatte ich Dich vorher verliebt erlebt, aufgeschlossen, zärtlich und verspielt, aber als Du Dich später so distanziert gabst, hielt ich Dich für eine von denen, die für jede Situation das entsprechende Gesicht parat haben und es nach Belieben und erwünschter Wirkung aufsetzen. Ich hätte niemals – niemals!– angenommen, dass ich Dich damals so tief verletzt haben könnte, ja, dass Du wirklich unter allem gelitten hast. Es tut