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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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stand da zu meiner Verwunderung:
     
    Liebe Undine, ich denke, wir hätten uns viel zu erzählen. Und ich denke auch, wir sollten das, was zuletzt zwischen uns geschehen ist, nicht so verbissen sehen. Das Leben ist doch viel zu kurz und schön, um sich zu ärgern. Am Sonntag wird es ein Jahr, dass wir uns zuletzt getroffen haben. Wie die Zeit vergeht   … Lassen wir nicht noch mal so viel vergehen. Was meinst Du?
     
    Ich meinte, es sei völlig in Ordnung, den Text dreimal zu lesen, aber schon nach dem ersten Mal ein imaginäres Messer zu zücken. Nach dem dritten Mal schärfte ich die Klinge, polierte den Griff, hauchte noch einmal darauf und zog los.
     
    Datum: 28.   Februar 2008 23.55   Uhr
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betreff: Wiedersehen
     
     
    Liebster Hannes,
     
    ich lese Deine Post und frage mich: Wie macht der das nur?
    Schreibt mir nach einem Jahr, schreibt mir solche Plattitüden und erwartet wahrscheinlich ein Gurren zur Antwort. Ich frage jetzt mal ganz Robert Lemke gemäß: Gehe ich richtig in der Annahme, dass Du meine Intelligenz noch immer sehr unterschätzt?
    Oder woher nimmst Du die verrückte Idee, dass solch unreflektiert dahingekritzelte Zeilen auch nur meinen kleinen Zeh in Deine Richtung wandern lassen könnten?
     
    Und mein Lieber, ich war noch nie ein verbissener Mensch – im Gegensatz zu Dir mit Deiner feigen Weltanschauung. Umso erstaunlicher empfinde ich dann Deinen Vorschlag, ganz unverbissen darüber hinwegzusehen, wie schäbig Du mich damals behandelt hast. Falls Du es vergessen haben solltest – ich nicht! Nein, mein Lieber, für die kleine Rettung zwischendurch stellt sich Undinchen nicht mehr zur Verfügung.
    Du hast Dir Dein muffiges Bett gemacht – nun schlaf auch drin!
     
    Alles Liebe!
    Undine
    ***
    Danach hörte ich nichts mehr. Weder von Hannes noch von Christian. Ich hatte um mich geschlagen, getroffen und Dummheit und Bedrohung zurück in ihren Bau getrieben.
    Im Theater begannen die Proben zu ›Viel Lärm um nichts‹, Franz war wieder da und mit ihm ein Teil des Ensembles von ›A Midsummer Night’s Sex Comedy‹. Die Tage hatten etwas von einem Déja vu, als ich Franz’ Stimme aus dem Zuschauerraum poltern hörte oder seinen obligaten Asthmalacher, wenn er vor Vergnügen nicht mehr wusste, wohin. Wie früher stiefelte er zu mir ins Büro, brachte mir dieselben schnapsgefüllten Nusspralinen mit und hoffte, ich könne an seiner Stelle Friedmann Sonderwünsche aus den Rippen leiern, was mir auch meistens glückte, wobei Herrn Mägeleins hochherziger Scheck dabei sicherlich half.
    Zu unserer aller Erleichterung besuchte Karin Mägelein die Proben nur selten, aber wenn, dann hing sie an Franz’ Lippen, als quollen Perlen der Weisheit daraus hervor. Ihr Mann hingegen quittierte ihren Überschwang mit hilflosen Blicken, sein breites Bauerngesicht mit dem leicht verdutzten Ausdruck bekam etwas von der Miene eines resignierten Clowns. Es entging mir nicht, dass er in solchen Momenten deprimiert den Bühnenraum verließ, hinüber zu Friedmann stapfte und sich von ihm Grünen Tee einschenken ließ, an dem er anschließend blicklos nippte.
    Ich mochte Mägelein gern, und weil ich ihn nicht beschämen wollte, hatte ich es immer vermieden, ihn aufmunternd anzublicken. Aber natürlich tat er mir leid, weil er so an diesem dünnen, kleinen Vogel hing, ohne jemalsdie richtigen Worte oder Gesten zu finden, die ihm selbst Wärme und Zuneigung bescherten. Es war nicht schwer, sich vorzustellen, dass Karin Mägelein den Scheck lediglich als einen Tribut an ihr verdrießliches Dasein gesehen und ihn mit ebensolchem Gesicht akzeptiert hatte. Die beiden Mägeleins wirkten, als habe ein unauflösbarer Zauber sie dazu verurteilt, miteinander alt zu werden. Ihren Mienen nach befanden sie sich mitten in der Hölle.
    Kam Julia hin und wieder bei den Proben vorbei, boten sie und Franz ein ganz anderes Bild. Sie waren ständig dabei, zu giggeln, sich zu berühren, streuten kleine Codes in ihre Unterhaltungen und verströmten eine Aura ungenierter Verschworenheit.
    Wenn Julia wieder verschwand, ließen diese Intermezzi meistens einen aufgeräumten, freundlichen Franz zurück. Wir staunten alle. Weder saß sie ihm auf der Pelle, noch umhegte sie ihn, sondern wandte sich schwungvoll ihrem eigenen Leben zu. Aber sie erkannte, was ihn bewegte, zeigte sich berührt davon, kommentierte, ohne zu urteilen, und blieb dabei immer warm.
    Gingen wir abends nach den Proben noch

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