Lilientraeume
zum ersten Mal begegnet bin – an meinem allerersten Tag bei Wilson Hoch- und Tiefbau. Er stand dort ohne Hemd mit abgewetzten Jeans, riesengroßen Stiefeln, einem Werkzeuggürtel auf einer Leiter, und, o Gott, es war sofort um mich geschehen.« Sie griff sich ans Herz, und ihre Augen blickten wehmütig. »Ich war völlig hin und weg. Mein Tommy.«
Sie nahm eine Schüssel und schlug Milch und Eier mit der Gabel auf. »Nicht lange, und er fragte mich, ob ich mit ihm ausgehen wolle. Und danach schaute ich nie mehr einen anderen an. Ich hab keinen Mann je so geliebt wie deinen Dad.«
»Ich weiß.«
»Wir hatten ein schönes Leben zusammen. Er war ein wunderbarer Mann: stark, intelligent und amüsant, und ein großartiger Vater. Und wir haben zusammen dieses Unternehmen aufgebaut, weil wir uns etwas Eigenes wünschten. Genauso wie dieses Haus und diese Familie. Ihr alle tragt ihn in euch, in eurer Art und in eurem Aussehen. Du hast seinen Mund, Beckett seine Augen, Ryder seine Hände. Und ihr alle habt noch viel, viel mehr von ihm. Was mich unendlich glücklich macht.«
»Es tut mir leid.« Sein Herz zog sich zusammen, als er die tränenfeuchten Augen seiner Mutter sah. »Es tut mir leid. Bitte, wein nicht.«
»Das sind keine Tränen der Trauer, sondern der Dankbarkeit.« Sie gab Zucker, Vanille und Zimt zu dem Milch-Ei-Gemisch. »Wir führten ein großartiges, interessantes, ausgefülltes Leben. Als er starb, war ich zunächst furchtbar wütend, weil er mich einfach im Stich gelassen hatte. Das schleppte ich Wochen oder sogar Monate mit mir herum. Ich wurde den Gedanken einfach nicht los, dass wir ewig hätten zusammenbleiben müssen und dass er nicht einfach vor mir gehen durfte. Ich fühlte mich von ihm verlassen, Owen, und er wird mir bis an mein Lebensende fehlen.«
»Mir auch.«
Sie griff über die Arbeitsplatte nach seiner Hand und drückte sie, bevor sie sich wieder den armen Rittern widmete.
»Und Willy B. war für mich da. Du weißt, wie nahe sich die beiden Männer standen, und deshalb trauerte er ebenfalls. Wir stützten uns, teilten die Trauer um ihn ebenso wie die schönen Erinnerungen. In solchen Situationen ist es tröstlich, jemanden zu haben, an den man sich anlehnen, mit dem man weinen, aber auch lachen kann. Und genau das war es, was uns lange Zeit verbunden hat. Das und nichts anderes. Seit zwei Jahren jedoch … Sagen wir es einfach so, dass er seit zwei Jahren ab und zu zum Frühstück bleibt.«
»Seit zwei Jahren schon?«
»Vielleicht hätte ich es euch erzählen sollen.« Achselzuckend tauchte sie die erste Scheibe Brot in das Milch-Ei-Gemisch. »Nur war ich mir irgendwie nicht sicher, ob ich mein Sexualleben vor meinen erwachsenen Söhnen ausbreiten sollte. Hinzu kommt, dass Willy entsetzlich schüchtern ist.«
»Bist du … in ihn verliebt?«
»Ich liebe ihn seit Jahren – so wie dein Dad ihn geliebt hat. Er ist ein gütiger Mann und ein guter Vater dazu, der sein Kind alleine großziehen musste, nachdem die Frau über Nacht einfach verschwand. Insofern liebe ich ihn. Aber verliebt?« Das Brot brutzelte in der Pfanne. »Ich denke nein. Wir sind gerne zusammen von Zeit zu Zeit, doch jeder hat sein eigenes Haus, sein eigenes Leben, seine eigene Familie. Wir sind zufrieden mit den Dingen, wie sie sind. Mehr brauchen und wollen wir beide nicht.« Sie blickte Owen fragend an. »Kann ich ihm jetzt vielleicht sagen, dass er zum Frühstück runterkommen soll?«
»Ja, sicher. Vielleicht geh ich dann besser.«
»Du bleibst schön brav da sitzen. Schließlich hab ich extra für dich arme Ritter gemacht.«
Sie trat aus der Küche in den Flur und stemmte ihre Hände in die Hüften. »Willy B., inzwischen hast du sicher eine Hose an. Also komm gefälligst runter«, rief sie, kehrte an den Herd zurück und briet die nächsten Scheiben Brot.
Ein paar Minuten später kam Averys Vater in die Küche geschlurft. »Sieht wirklich lecker aus, Justine.« Er räusperte sich leise und nahm auf dem Hocker neben Owen Platz.
Sie bedachte ihren Sohn aus dem Augenwinkel mit ihrem berühmten Blick, der alle drei Brüder regelmäßig in die Knie zwang und sie nach ihrer Pfeife tanzen ließ.
Owen begriff sofort. »Hm, also…Wie steht’s so, Willy B.?«
»Ach, eigentlich nichts Neues.«
»Ja.« Owen träufelte Sirup auf seinen Toast und wusste nicht, was er sagen sollte.
»Das Hotel wird wirklich schön«, setzte Willy B. vorsichtig an. »Ein Gewinn für den Markt und ganz Boonsboro. Euer Vater wäre
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