Lilientraeume
anders bei ihm zu erwarten, herrschte in seinem Haus tadellose Ordnung, sodass sich nicht einmal eine Verlegenheitsbeschäftigung wie Aufräumen oder Saubermachen anbot.
Die Häuser der Montgomerys lagen alle dicht beieinander in einem großen, bewaldeten Gelände und nur einen Steinwurf voneinander entfernt. Zuerst war da das Elternhaus gewesen, in dem Justine jetzt alleine lebte, doch sowohl Owen als auch Ryder wohnten bereits seit längerer Zeit ganz in der Nähe. Nur Beckett hatte lange gezögert, die Stadt zu verlassen, und deshalb sein Haus jahrelang als Rohbau stehen lassen. Aber bald würde er mit Clare und den Jungen dort einziehen.
Natürlich hatten die Brüder die Häuser gemeinsam entworfen, gebaut und ausgestattet, wobei jeder andere Prioritäten setzte. Für Owen etwa war es wichtig, dass alles sehr praktisch, logisch angeordnet und funktional war. Eben genau wie er selbst.
Jetzt stand er, mit einer legeren Jogginghose bekleidet, in der breiten Tür seiner gefliesten Terrasse und hielt eine Tasse frisch gemahlenen und gebrühten Kaffee in der Hand. Seine Kaffemaschine konnte es, worauf er sehr stolz war, mit jedem Profigerät aufnehmen. Und mit jeder Küchenperle, fand Ryder und taufte die Maschine, die Owen sich selbst zum Geburtstag geschenkt hatte, Hilda.
Obwohl der Kaffee aromatisch und köstlich war wie immer, vermochte er heute seine Laune nicht zu heben. Avery ging ihm nicht aus dem Kopf. Nicht er benahm sich seltsam, sondern sie. Und zwar in höchstem Maße. Wollte sie ihm etwa Schuldgefühle einreden, überlegte er. Nur warum? Dafür gab es doch weiß Gott keinen Grund.
Es war einfach dumm gelaufen, und am besten dachte er nicht mehr darüber nach, sagte er sich. Jedenfalls lohnte es bestimmt nicht, sich davon den Schlaf rauben zu lassen.
Owen langweilte sich. Kurz dachte er darüber nach, sich wie sonst an den Wochenenden ein opulentes Frühstück mit Eiern und Speck zuzubereiten und während des Essens mit seinem iPad zu spielen. Nur interessierten ihn an diesem Morgen weder Eier und Speck noch sein iPad. Höchst bedenklich, fand er.
Also doch hinüber in die Werkstatt fahren und sich den Kaminsims für Becketts und Clares Schlafzimmer vornehmen? Das Kastanienholz wartete schon seit Längerem darauf, endlich bearbeitet zu werden. Außerdem könnte er bei der Gelegenheit gleich seine Mutter besuchen. Justine war immer zeitig auf den Beinen und würde ihm bestimmt ein ordentliches Frühstück vorsetzen. Und vielleicht konnte sie ihm helfen, Averys Verhalten besser zu verstehen. Nicht dass er ihr alle Details erzählen würde, eher wollte er so ganz allgemein darüber reden und auf ihre Menschenkenntnis bauen.
Er stieg die Treppe in den ersten Stock hinauf, schaltete den kleinen gasbetriebenen Kamin im Schlafzimmer an und trug seinen Kaffee in das angrenzende Bad. Dort duschte er, rasierte sich und zog seine Arbeitskleidung und die mit Stahlkappen versehenen Stiefel an.
Dann machte er ordentlich sein Bett – strich das Laken glatt, zog die weiße Decke hoch und schüttelte die Kissen auf –, nahm sein Handy aus dem Ladegerät, befestigte es an seinem Gürtel, steckte Taschenmesser und Portemonnaie ein und band ein frisches Tuch um den Hals.
Er trat ans Fenster und schaute hinaus, runzelte die Stirn. Die Stille missfiel ihm. Zwar war alles so wie gewohnt, doch heute fehlte ihm etwas. Eine Person, mit der er reden konnte.
Vielleicht sollte er sich einen Hund zulegen, einen vierbeinigen Gefährten. Schon seit geraumer Zeit dachte er darüber nach. Ryder hatte D.B. und Justine Cus und Finch. Er beschloss, ernsthaft darüber nachzudenken. Und zwar bald. Es machte keinen Sinn, alles immer wieder zu verschieben. Vielleicht sollte er einfach spontan beim Tierheim vorbeischauen. Ryder hatte so viel Glück mit seiner Promenadenmischung gehabt.
Er nahm seine Arbeitsjacke aus dem Schrank, zudem eine Skimütze und dicke Wollhandschuhe und fischte seine Schlüssel aus der Schale auf dem Tisch neben der Tür. Ein Mann brauchte ganz einfach einen Hund. Das war es, was in seinem Leben fehlte. Ein anständiger Hund. Er kletterte in seinen Pick-up und nickte zufrieden mit dem Kopf. Er liebte gute Pläne, und das klang nach einem wirklich guten Plan.
Er ließ den Wagen an, fuhr vorbei an dem kleinen Unterstand für seinen Jeep, dann ein Stück die Straße entlang, und schon war er beim Anwesen seiner Mutter. Die Hunde, zwei Labrador-Retriever-Mischlinge, stürmten ihm gleich entgegen. Cus, eigentlich
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