Lilienzucht (German Edition)
Lächelnd fügt sie hinzu: „Ich bring dir die Mappe, wenn ich die letzten Briefe eingeordnet habe.“
„Gut, dann kann ich sie Mister Steward noch vor der Mittagspause vorlegen und die Post kann heute noch raus.“, stellt Flora erfreut fest. Sie hat sich schon zum Gehen umgedreht, da hält sie noch mal inne und wendet sich Josie zu. „Danke, meine Liebe. Das war wirklich eine große Hilfe.“
„Gern geschehen.“, antwortet Josie beinahe schon automatisch. Erst als ihre Kollegin außer Sichtweite ist, fällt ihr überrascht der Unterkiefer nach unten.
„Ein Dank?!“, murmelt sie verblüfft. „Aus Flora Carters Mund? – Es geschehen noch Zeichen und Wunder...“ Kopfschüttelnd und leise vor sich hin kichernd ordnet sie die Papiere weiter ein.
Als sie die Vorlagenmappe ein paar Minuten später abgeliefert hat und wieder auf dem Rückweg zur Empfangstheke ist, wird ihr bewusst, wie ungeheuer lebendig sie sich heute fühlt. In ihrem Körper kribbelt es, als würden unablässig zarte Stromstöße alle Nervenenden in ihrer Haut auf eine sehr wohl tuende Art anregen. Tief in Gedanken setzt sie sich und starrt verblüfft auf ihre Telefonanlage, auf der ausnahmsweise nicht ein einziges, blinkendes Lämpchen anzeigt, dass ein Anrufer in der Warteschleife hängt.
„Seltsam...“, murmelt sie. „Wo doch den ganzen Vormittag quasi die Hölle los war...“
Die unerwartete Ruhe gibt ihr Gelegenheit, ein wenig tiefer in sich hinein zu horchen und so geht ihr nach einer Weile auf, dass das kleine erotische Abenteuer von gestern immer noch nachzuwirken scheint.
„Dabei war das doch eigentlich gar keine große Sache.“, denkt sie verwundert und hält plötzlich erschrocken inne. „Oh, du meine Güte! War mein Leben denn bisher so langweilig?!“
Obwohl sie den Gedanken gar nicht laut ausgesprochen hat, läuft ihr Gesicht unwillkürlich rot an und sie schaut sich hektisch um. Leise stöhnend sinkt sie auf dem Stuhl zusammen, als ihr das eigene Verhalten bewusst wird.
„Ja, das war es wohl.“, gesteht sie sich murmelnd ein und seufzt leise.
Josie hat an diesem Arbeitstag gar keine Zeit mehr, auf einen neuerlichen Anruf von Victor zu warten, denn nach der Mittagspause steht nicht nur das Telefon kaum still, sondern unzählige Besucher wollen auch von ihr in die richtigen Büros geschleust werden. Erst am späten Nachmittag registriert sie beinahe beiläufig, dass Victor sich den ganzen Tag noch nicht gemeldet hat. Ein flüchtiger Blick auf die Uhr lässt sie vermuten, dass er es auch vor Dienstende nicht mehr tun wird.
„Na ja“, denkt sie seufzend, „ist sicher auch besser so. Wir hätten sowieso nicht viel reden können ... und schon gar nicht ungestört. – Vielleicht ruft er ja später am Abend noch an.“
Vermutlich zum letzten Mal an diesem Arbeitstag klingelt das Telefon...
Als sie schließlich den dichten Feierabendverkehr der Londoner U-Bahn hinter sich gelassen hat und ein wenig abgekämpft vor der Tür ihrer Stadtwohnung ankommt, atmet sie erst einmal kräftig durch, bevor sie ihre Tasche nach dem Schlüssel durchsucht. Angestrengt überlegt sie dabei, ob sie selbst kochen oder doch lieber etwas bei einem Lieferservice bestellen sollte und so bemerkt sie nur am Rande, dass die Tür gar nicht abgeschlossen ist. Erst als sie Tasche und Jacke abgelegt hat und bereits im Begriff ist, ihre Schuhe auszuziehen, hält sie inne und registriert, dass irgendetwas anders ist als sonst. Irritiert schnuppert sie.
„Seltsam...“, murmelt sie. Die Stirn in feine Falten gelegt, begibt sie sich ins Wohnzimmer, um nachzusehen ... und erblickt dort zu ihrer vollkommenen Überraschung eine gut gekühlte Flasche Champagner und einen Strauß herrlich duftender rosa Lilien auf dem Tisch. Verwirrt nähert sie sich der Vase und berührt gedankenverloren mit den Fingerspitzen einige der wunderschönen Blüten.
Zwar freut sie sich gleichermaßen über Champagner und Blumen, doch gleichzeitig kriechen ihr unwillkürlich flüchtige, kalte Schauer über den Rücken. Schließlich bedeutet es, dass jemand ohne ihr Wissen in der Wohnung gewesen sein muss und der Einzige, der noch einen Schlüssel besitzt, ist ihres Wissens ihr Bruder...
Kurzerhand wendet sie sich um, um Justin anzurufen ... und prallt unversehens gegen eine muskulöse, schwarz gekleidete Männerbrust.
Zu Tode erschrocken schreit sie kurz auf, erkennt jedoch schon in der nächsten Sekunde, dass der Duft, den ebenjene Brust verströmt, ihr
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