Lilith Parker: Insel Der Schatten
antwortete: »Nein, ich lege die Kette zum Schlafengehen ab, wieso?«
Wozu sollte sie Emma damit belasten? Es war besser, sie blieben bei dem Plan, den sie zusammen gefasst hatten.
»Ach, nicht so wichtig.« Emma winkte ab. »Nur für die Zukunft: Trage das Amulett nie mehrere Tage hintereinander. Ansonsten bekommst du echte Probleme, dagegen ist ein Treffen mit einem Erzdämon gar nichts.«
Lilith zog ihre Mundwinkel nach oben – der kümmerliche Versuch eines Lächelns. »Gut zu wissen. Wenn ich das Amulett nach heute Nacht noch besitzen sollte, werde ich daran denken.«
Beunruhigt musste Lilith feststellen, dass sie so langsam Übung im Lügen bekam.
Auch das, was sie jetzt vorhatte, hatte sie Emma verschwiegen. Es war ein Verstoß gegen die wichtigste Regel der Untotenwelt und Lilith wollte sie nicht mit hineinziehen.
»Ach, und nimm dich im Kindermoor in Acht vor den Ahuizotl!«, rief ihr Emma noch schnell über die Schulter hinweg zu, ehe sie in der Menge verschwand.
»Vor was bitte soll ich mich in Acht nehmen?«
Doch ihre Freundin hörte sie nicht mehr.
Lilith ließ Emma einige Minuten Vorsprung und folgte ihr dann. Quälend langsam kam Lilith in der wogenden Menschenmasse voran. Es dauerte eine Ewigkeit, bis Lilith den Schulhof erreicht hatte. Sie pirschte sich im Halbschatten seitlich an den Zuschauerreihen vorbei, darauf bedacht, von niemandem erkannt zu werden. Hinter der Bühne erwartete sie hektische Betriebsamkeit. In Kürze sollte die letzte Vorstellung des Abends beginnen. Schüler in Kostümen und Umhängen sprangen aufgeregt herum und Lehrer riefen ihnen letzte Ratschläge und Befehle zu, die die Schülerschaft gemeinschaftlich ignorierte.
Lilith sah sich suchend um. Sie hatte nicht vor, Belial allein gegenüberzutreten. Nur einer kam infrage, der sie begleiten konnte. Jemand, der resistent gegen die Macht des Dämons war. Jemand, dem sie blind vertrauen konnte. Und dieser jemand hatte ihr die Freundschaft gekündigt.
Sie fand Matt, wie er abseits stand und noch einmal seinen Text probte. Die Anspannung war ihm ins Gesicht geschrieben.
»Matt?« Lilith trat zögernd zu ihm.
Er schien wenig erfreut, Lilith zu sehen, und gab sich auch keine Mühe, dies zu verbergen. Sie konnte es ihm nicht verübeln.
»Kann ich bitte kurz mit dir sprechen?«
Matts Augen verengten sich zu Schlitzen. »Wozu? Hast du dir in der Zwischenzeit neue Lügengeschichten ausgedacht, die du mir auftischen möchtest?«
»Im Gegenteil – ich möchte dir endlich die Wahrheit sagen! Und dich um deine Hilfe bitten.«
»Ach ja?« Sein Tonfall machte klar, dass er ihr kein Wort glaubte.
»Du hattest recht: Ich habe herausgefunden, was für seltsame Dinge im Haus meiner Tante vorgehen und was sie uns hier in Bonesdale verschweigen«, sagte Lilith eindringlich. »Bitte, Matt, hör mir zu! Es geht um Leben und Tod.«
Matt zögerte einen Moment, dann nickte er. »Gut, du hast zwei Minuten, dann muss ich mich wieder auf meinen Auftritt vorbereiten.«
Lilith begann, ihm von dem Werwolfangriff zu erzählen, was sie bisher über die Welt der Untoten erfahren hatte und ihrem Schwur, nichts von all dem zu verraten. Matt lauschte aufmerksam, ohne sie zu unterbrechen, doch mit jeder weiteren Offenbarung wanderten seine Augenbrauen ein Stückchen in die Höhe.
Am Ende schüttelte Matt ungläubig den Kopf.
»Du hast vielleicht Nerven! Nach allem, was geschehen ist, willst du mich nun auch noch mit dieser haarsträubenden Halloweengeschichte veräppeln. Du erwartest doch wohl nicht im Ernst, dass ich dir diese Geschichte abkaufe, oder?«
Tränen der Verzweiflung traten Lilith in die Augen. Ihr ganzer Plan hing davon ab, dass Matt ihr Glauben schenkte. Was konnte sie nur tun, um ihn von der Wahrheit zu überzeugen?
»Bitte, Matt, diese vielen Schwindeleien in letzter Zeit tun mir unheimlich leid und ich kann verstehen, dass es dir schwerfällt, mir zu glauben. Aber es ist wirklich alles genau so geschehen, wie ich es dir eben erzählt habe.« Sie sah ihn mit geradem aufrichtigem Blick an und klammerte sich an seinem Arm fest. »Ich schwöre es dir!«
Matt musterte sie schweigend. Lilith sah ihm an, wie er mit sich kämpfte. »Und warum erzählst du mir jetzt die Wahrheit?«, fragte er schließlich in versöhnlicherem Ton.
Lilith wäre ihm vor Dankbarkeit am liebsten um den Hals gefallen, doch sie hielt sich gerade noch zurück. »Der Mann, den du gestern bei uns in der Küche gesehen hast, war ein Erzdämon. Er hält
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