Lilith Parker: Insel Der Schatten
entgehen lassen.«
Als Lilith allein war, sank sie vollständig vornüber und stöhnte auf vor Schmerz. Sie hatte das Gefühl, als würden ihre Eingeweide verbrennen.
Noch schlimmer jedoch war die Erkenntnis, dass sie auf ganzer Linie versagt hatte. Sie würde sterben, Belial würde jeden Moment das Bernstein-Amulett sein Eigen nennen und sie hatte noch nicht einmal ihren Vater retten können. Allein durch ihre Schuld würde der Erzdämon zu neuer Macht gelangen. Wie konnte sie nur glauben, Belial besiegen zu können? Sie wusste, dass es auch Emma nicht mehr rechtzeitig schaffen würde, hier zu sein. Wenn es Matt nur gelänge, ihren Vater zu befreien! Hoffentlich hielt er sich an den Plan und blieb so lange in seinem Versteck, bis sich eine gute Gelegenheit dafür ergab. Wenn Belial wieder zu ihr zurückkam, um ihr beim Sterben zuzusehen, wäre es wahrscheinlich Matts einzige Chance, unbemerkt zu Liliths Vater zu gelangen. Sie konnte nur hoffen, dass er sie nutzte. Vor ihren Augen wurde es schwarz.
Aus weiter Ferne, ganz leise, hörte sie, wie die Uhr des Rathauses Mitternacht zu schlagen begann. Plötzlich spürte Lilith ein Vibrieren, das durch ihren ganzen Körper ging und immer stärker wurde. Dann …
Bumm – Bumm!
Sie hatte eine Art Beben wahrgenommen, ein Pulsieren der Erde. Der Herzschlag der Insel, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte ihn schon einmal gespürt, in dem Moment, als sie zum ersten Mal St. Nephelius betreten hatte. Was hatte das nur zu bedeuten?
Ein durchdringender Schwefelgeruch breitete sich aus. Als Lilith sich zwang, ihren Kopf zu heben, ahnte sie schon, wer vor ihr stand.
»Juhu, Eure Ladyschaft, habt ihr mich vermisst?« Strychnin grinste sie glücklich an.
»Bist du gekommen, um zu sehen, wie es mit mir zu Ende geht?«
Der Dämon blinzelte sie verständnislos an. »Wieso, Eure Hoheit?«
»Das Amulett hat mich nicht als Trägerin erwählt.«
»Wie kommt Ihr darauf, Eure Hoheit?«
Dieser Dämon konnte einem den letzten Nerv rauben. Lilith setzte sich auf und funkelte Strychnin wütend an. »Meine Güte, stell doch nicht so blöde Fragen«, fauchte sie. »Siehst du nicht, dass ich sterbe?«
Strychnin wich ängstlich zurück.
»Wenn ich etwas bemerken dürfte, Eure Ladyschaft: Ihr seht mir nicht so aus, als ob Ihr gerade im Sterben liegen würdet!«
Verwirrt sah Lilith an sich herunter. »Oh. Tatsächlich.«
Sie hörte in sich hinein. Die Übelkeit, der Schwindel, die bleierne Kraftlosigkeit – mit einem Mal war alles verschwunden. Sie fühlte sich sogar ausgesprochen gut und … Lilith blinzelte irritiert. Sie konnte besser sehen! Wo sie noch vor wenigen Augenblicken nur den dunklen Schleier der Nacht wahrgenommen hatte, konnte sie plötzlich die Bäume und Gräser des Moores erkennen. »Wie ist das möglich?«, flüsterte sie. »Ich habe doch gespürt, wie ich immer schwächer und die Schmerzen unerträglich wurden.«
»Was Euch geschwächt hat, war nicht das Amulett«, erklärte Strychnin geduldig. »Ihr habt Eure Kräfte bekommen! Ihr habt doch selbst gesagt, dass Ihr kurz vor Mitternacht geboren wurdet.«
Lilith schüttelte ungläubig den Kopf. »Aber das Amulett hat sich schon erwärmt! Es wird mich jeden Moment pulverisieren.«
»Der Stein hat sich aktiviert!«
Hektisch zog Lilith das Amulett hervor. Im Herzen des Bernsteins leuchtete plötzlich ein Licht. Es sah aus wie eine kleine Sonne, die ein goldenes Strahlen aussandte, und in ihrem Zentrum sah Lilith klar und deutlich die Spinne schweben, mit der Zeichnung einer roten Krone auf dem Rücken. Zugegeben, der Bernstein leuchtete nicht so stark wie Belials Onyx-Amulett, aber der Stein hatte sich eindeutig verändert.
»Dann bin ich jetzt eine Banshee und das Bernstein-Amulett hat mich erwählt …«, murmelte Lilith verblüfft.
»Neeein!«
Der Schrei riss sie jäh aus ihrer Erstarrung. »Dad!«
Geduckt spähte Lilith über den Felsen. Mit Erleichterung sah sie, dass der Ast, an dem ihr Vater hing, nicht vollständig durchgebrochen war. Belial hielt das Seil in Händen und hatte ihren Vater sogar etwas in die Höhe gezogen. Die Ahuizotl versuchten verzweifelt, ihr Opfer zurückzugewinnen, aber der Abstand war zu groß geworden.
»… tragisch, deine Tochter hatte keine Chance, nicht wahr?«, hörte sie Belial sagen. »Du hättest ihr von Anfang an die Wahrheit sagen müssen. Dass sie nun sterben wird, ist allein deine Schuld, Joseph!« Er hielt kurz inne und stieß einen leisen Fluch aus. »Wie
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