Lilith Parker: Insel Der Schatten
meisten Mädchen in deinem Alter laufen kreischend davon oder fallen in Ohnmacht, wenn sie plötzlich die abgetrennte Hand in Händen halten.«
»Clara, unsere Haushälterin, meint immer, Mut und Dummheit seien manchmal nur schwer voneinander zu unterscheiden.«
Arthur lachte mit dröhnender Stimme auf. »Na, dann nehmen wir bei dir aber Ersteres an!«
Lilith sah sich neugierig um. Ihr fiel auf, dass auf dem Tisch mehrere Tassen Tee standen, von denen noch etwas Dampf aufstieg. Ihre Besitzer mussten gerade erst die Küche verlassen haben. »Wo sind denn die anderen Bewohner des Hauses?«
»Die haben sich in ihre Zimmer zurückgezogen«, antwortete Mildred. »Du wirst sie morgen kennenlernen.« Sie hielt inne, schnüffelte in die Luft und verzog angewidert ihr Gesicht. »Oje, Hannibal hat wohl wieder Verdauungsprobleme!«
»Verdauungsprobleme?«, wiederholte Arthur spöttisch. »Das sind keine Verdauungsprobleme, Mildred. Dieser Hund furzt, dass einem die Tränen in die Augen steigen!«
Mildred lief zu einem schwarzen Hund, der auf einer Decke neben dem Feuer schlief. Obwohl Lilith fand, dass Hund nur ein unzureichender Begriff für dieses dösende Monstrum war. Er sah aus wie eine schwarze Riesendogge, nur noch größer und massiger. Sicherlich gab es Ponys, die kleiner waren als Hannibal!
»Wahrscheinlich hat er nur wieder etwas Schlechtes gegessen«, meinte Mildred beschwichtigend.
Sie streichelte dem Hund liebevoll den Kopf, an dem ein Paar Schlappohren wackelten, die recht mitgenommen und angenagt aussahen.
»Hast du etwa schon wieder einen Schuh gegessen, Hannibal?«, fragte sie streng.
Der Hund blinzelte sie schuldbewusst an und versteckte dann seine Augen hinter seiner riesigen Pranke.
Mildred erhob sich wieder und strich eine Strähne ihres blonden Haares hinter die Ohren. »Ich mache ihm gleich eine Wärmflasche, das hilft meistens gegen seine Magenprobleme.«
Arthur schnaubte auf. »Dieser Hund hat keinen Magen, sondern eine Müllverbrennungsanlage!« Er wandte sich an Lilith. »Ein guter Rat, Lilith: Pass in diesem Haus auf deine Schuhe auf! Keiner von uns besitzt noch ein gleiches Paar.«
Lilith konnte es sich nicht verkneifen, nach unten zu sehen. Tatsächlich hatte Arthur die Wahrheit gesagt: Am linken Fuß trug er eine abgewetzte karierte Pantoffel, am rechten Fuß einen unbequem aussehenden schwarzen Lackschuh.
»Dann war es sicherlich Hannibal, der mir und Archie vorhin so einen Schreck eingejagt hat!«, mutmaßte Lilith. »Bei diesem schaurigen Geheul dachte ich gleich, dass das kein normaler Hund sein kann.«
»Was für ein Geheul?«, fragte Arthur stirnrunzelnd. »Hannibal war die ganze Zeit bei uns in der Küche.«
»Als wir beim Stall waren, hab ich ein Kratzen an der Mauer gehört«, erzählte Lilith. »Und dann so etwas wie … Wolfsgeheul.«
Lilith entging nicht, dass Mildred und Arthur einen nervösen Blick wechselten und Mildred unmerklich den Kopf schüttelte.
»Ach, das war sicherlich der Nachbarshund«, meinte Arthur und tätschelte Lilith beruhigend die Schulter. »Hier gibt es doch keine Wölfe!«
Hannibal hatte sich wohl gerade an seine Pflichten als Wachhund erinnert, tapste zu Lilith und beschnupperte sie. Sein Kopf befand sich auf der Höhe ihres Oberarms und seine große Nase hinterließ einen feuchten Luftzug auf ihrer Haut.
»G-g-guter Hund!«, stammelte Lilith. Vorsichtig streichelte sie ihm über den Kopf.
»Keine Sorge«, beruhigte Arthur sie. »Zahm wie ein Lamm. Ein Einbrecher könnte höchstens von Hannibals Gestank niedergestreckt werden.«
Hannibal trottete wieder zurück und ließ sich auf seine Decke plumpsen.
»Du hattest eine lange Reise.« Mildred nahm Liliths Arm und zog sie aus der Küche in Richtung Treppe. »Es wird Zeit, dass ich dir dein Zimmer zeige. Arthur war so nett und hat schon dein Gepäck nach oben gebracht.«
Lilith verabschiedete sich von Arthur, der ihr eine gute Nacht wünschte, und folgte Mildred über die ausgetretenen Stufen nach oben. Am Ende eines engen Flurs öffnete Mildred eine Tür und gab den Blick frei auf Liliths neues Zimmer. Es war klein und etwas heruntergekommen, aber trotzdem gemütlich. Auf dem hellen Dielenboden lag ein Flickenteppich, eine Tiffany-Lampe warf rote, blaue und gelbe Farbsprenkel an die Wand und auf dem Bett lag eine mit Blumen verzierte Decke.
»Das ist wahrscheinlich nicht ganz dein Stil, aber du kannst es dir ja noch so einrichten, wie es dir gefällt«, bot Mildred an.
»Das ist
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