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Lilith Parker: Insel Der Schatten

Lilith Parker: Insel Der Schatten

Titel: Lilith Parker: Insel Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Knüttelsiel 2 ,
erschienen 1969

    A ls Liliths müder Blick auf den Wecker fiel, setzte ihr Herz für einen Schlag aus. Es war zwanzig nach acht und in wenigen Minuten würde die Schule anfangen. Sie hatte verschlafen! Was kein Wunder war, schließlich hatte sie kaum ein Auge zugetan. Wie ihre Tante sie vorgewarnt hatte, war es nachts alles andere als still im Haus gewesen. Immer wieder rissen Lilith unterdrücktes Gemurmel und polternde Schritte aus dem Schlaf. Die wenigen Male, in denen sie tief und fest eingeschlafen war, träumte sie davon, wie brausendes Meerwasser über ihr zusammenschlug, sie in die Tiefe hinabgezogen wurde und eine tödliche Kälte ihren Körper ergriff. An dieser Stelle des Traumes war sie jedes Mal hochgeschreckt, atemlos und verschwitzt.
    Dunkel erinnerte sie sich an das Klingeln des Weckers am frühen Morgen, wie sie ihn mit einem unwilligen Schlag auf den Alarmknopf zum Schweigen gebracht und sich auf die andere Seite gedreht hatte. Eigentlich wollte sie nur fünf oder zehn Minuten weiterschlummern, doch sie musste sofort wieder eingeschlafen sein.
    »Verdammter Mist!«, fluchte sie.

    Mit einem Satz war Lilith aus dem Bett, hetzte für eine schnelle Katzenwäsche ins Bad und zog sich dann die Schuluniform über, die ihre Tante schon am Abend zuvor neben dem Bett bereitgelegt hatte. Der Rock, das Hemd und die Strümpfe – alles war vollkommen schwarz, einzig die Jacke zeigte ein purpurfarbenes Emblem, auf dem eine Art goldenes X vor dem Umriss einer schwarzen Burg prangte. St. Nephelius war darunter in einem Halbrund in ebenfalls goldenen Buchstaben eingestickt. Lilith raffte ihre Schulsachen zusammen und musterte sich kurz im Spiegel. Was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Durch ihre helle Haut, die schwarzen Haare und die dunklen Augenringe sah sie in der Schuluniform aus wie eine wandelnde Leiche. Doch daran konnte sie jetzt nichts mehr ändern.
    Lilith eilte die Treppe hinunter in die Küche, die im Halbdunkel lag und zu ihrem Erstaunen menschenleer war. Nicht einmal Hannibal lag in seiner Ecke. Sie sah sich ratlos um. Zwar war der Frühstückstisch gedeckt und ein frischer Kaffeeduft durchzog die Küche, doch von ihrer Tante war nichts zu sehen.
    »Mildred? Arthur?«

    Keine Antwort. Lilith verzog das Gesicht. Dieser Morgen fing ja großartig an! Wenn sie ihre Tante nicht schleunigst fand, würde sie nicht einmal wissen, wie sie zu ihrer neuen Schule kommen sollte. Lilith horchte auf. Sie glaubte vor dem Haus Stimmen zu hören und trat durch die Seitentür nach draußen. Nach dem gestrigen Unwetter empfing sie ein überraschend schöner Spätsommermorgen und der blaue Himmel war mit flauschigen Schäfchenwolken verziert. Nun, bei Tageslicht, wirkten die Villa und der Garten weit weniger unheimlich und gruselig als in der Nacht zuvor. Zwar war das Haus immer noch in einem bedenklichen Zustand, doch nun sah man, dass in der Fassade kunstvolle Figurenfriese eingearbeitet waren, die Meerjungfrauen und Wassergötter darstellten. Der Eingang war in Form eines kleinen Triumphbogens gestaltet, doch die Stufen davor waren halb eingebrochen. Kein Wunder, dass Tante Mildred ausschließlich den Seiteneingang benutzte! Auch war der große, fast parkähnliche Garten nicht vollständig von Unkraut überwuchert. Es gab einen liebevoll angelegten Kräuter- und Gemüsegarten, der mit einer kniehohen Steinmauer vom restlichen Garten abgetrennt war, und unter den Obstbäumen wartete ein mit Efeu umrankter Pavillon auf Besucher.
    Am Gartentor standen Arthur und Mildred, wo sie an einem mittelalterlich aussehenden Damenrad herumhantierten.
    »So, das müsste reichen! Die Reifen haben wieder Luft.« Arthur erhob sich mit einem zufriedenen Lächeln und steckte die Fahrradpumpe zurück in die Halterung.
    Lilith trat zu ihnen. »Soll ich damit etwa zur Schule fahren?«
    Arthur und Mildred sahen auf.
    »Gut geschlafen?«, fragte ihre Tante.
    »Geht so.« Lilith warf Mildred einen säuerlichen Blick zu. Eigentlich hatte sie sich fest vorgenommen, ihre Tante gleich heute Morgen darauf anzusprechen, warum sie in ihrem Zimmer eingeschlossen worden war. Doch das musste Lilith nun auf später verschieben.
    »Vorhin hast du jedenfalls so tief geschlafen, dass ich nicht in der Lage war, dich aufzuwecken«, gab Mildred zurück. »Hast du alles? Bist du bereit für die Schule?«
    »Nein, ich gehe zu einer Beerdigung!« Lilith warf einen missmutigen Blick auf ihre Schuluniform, deren Schwarz in der Sonne edel

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