Lilith Parker: Insel Der Schatten
Unwissenden ausschließt.«
Miss Tinkeltons Mund zog sich zu einem schmallippigen Lächeln nach oben, das eher gefährlich als freundlich wirkte, während Matt hinter ihr leise aufstöhnte und sich mit der flachen Hand auf die Stirn schlug.
»Anscheinend weißt du nichts über die großen Taten von Baron Nephelius, ansonsten würdest du dir eine so unverschämte Aussage nicht erlauben. Aber wenigstens wissen wir jetzt, wie deine Strafarbeit auszusehen hat – du wirst das Leben von Baron Nephelius studieren und schreibst ein zehnseitiges Referat über ihn!«
»Aber …«
»Keine Widerrede!«
Lilith zwang sich zur Ruhe. Sie wusste, dass sie alles nur noch schlimmer machte, wenn sie jetzt etwas sagte. Trotzdem hätte sie platzen können vor Wut! Mit zusammengekniffenen Lippen folgte sie Miss Tinkelton durch den düsteren Schulflur.
Matt sah Lilith kopfschüttelnd an. »Wenn ich mal in Schwierigkeiten bin und jemanden mit diplomatischem Geschick brauche, dann erinnere mich bitte daran, auf keinen Fall dich um Hilfe zu bitten.«
»Du meinst, wenn du jemanden zum Lügen brauchst?«, gab Lilith bissig zurück. »Sei froh, dass ich so ehrlich bin, ansonsten würde ich dir nämlich nicht sagen, dass man noch deinen Handabdruck auf der Stirn sieht und du aussiehst wie eine rote Ampel. Damit wirst du sicherlich Eindruck bei den Mädels machen!«
Während sie ein kleines Klassenzimmer betraten, sah Lilith schmunzelnd dabei zu, wie Matt sich eilig seine Haare vor die Stirn zupfte. Wusste sie doch, dass er ein eitler Kerl war!
Die Einrichtung des Klassenzimmers war spärlich. Neben Tafel und Lehrerpult gab es nur zwei Reihen mit Holzbänken, auf denen etwa fünfzehn Schüler mit kerzengeraden Rücken vor ihren aufgeschlagenen Büchern saßen. Als die Direktorin eintrat, sprangen sie auf und wünschten ihr einstimmig einen guten Morgen.
»Wir sind stolz darauf, dass die Schule seit über zweihundert Jahren unverändert geblieben ist«, erklärte Miss Tinkelton mit einem selbstbewussten Blick auf die Schüler der Klasse. »Wir pflegen einen stilvollen Umgangston miteinander und ehren unsere Traditionen. So sitzen bei uns auch noch nach alter Sitte Mädchen und Jungen getrennt voneinander.«
Miss Tinkelton informierte sie weiter, dass die St.-Nephelius-Schule die einzige Schule der Insel war und es fünf Klassen gab, in denen jeweils mehrere Altersgruppen vertreten waren. Da Matt und Lilith zu den jüngsten Mitgliedern ihrer neuen Klasse zählten, prophezeite ihnen Miss Tinkelton, dass sie wahrscheinlich einigen Lernstoff nachzuholen hätten.
Ihr Klassenlehrer Mister Baker, der sie in Physik, Chemie und Mathematik unterrichtete, nahm Matt und Lilith in Empfang. Er war ein kleiner rundlicher Mann mit einem fleischigen Gesicht und schütterem Haar, der den Tick hatte, permanent seine Brille zurechtzurücken. Er wies Matt und Lilith ihre Plätze zu. Matt musste in der hintersten Reihe der Jungen alleine sitzen, während Lilith neben einem Mädchen mit glatten braunen Haaren und einer etwas zu lang geratenen Nase Platz nehmen durfte. Sie strahlte Lilith mit einem breiten Lächeln an.
»Hallo, ich bin Emma«, flüsterte sie Lilith zu. »Du bist Mildreds Nichte, nicht wahr? Sie war ganz aufgeregt, weil du sie besuchen kommst, und hat es jedem hier erzählt.«
Lilith sah Emma ungläubig an. »Tante Mildred?«, fragte sie etwas zu laut und fing einen warnenden Blick von Mister Baker auf.
Sie konnte es kaum glauben. Mildred sollte sich gefreut haben, dass Lilith zu ihr kam? Wenn das stimmte, hatte ihre Tante eine seltsame Art, ihre Freude zu zeigen.
»Hat euch Miss Tinkelton schon in die Mangel genommen?«, fragte Emma.
Lilith nickte. »Ich weiß gar nicht, was schlimmer ist. Dass sie mir sofort eine Strafarbeit gegeben hat oder der Anblick ihrer roten Augen.«
»Sie hat hohen Blutdruck. Ihre Äderchen platzen bei der kleinsten Aufregung.«
Auch wenn Lilith verständlicherweise schon entschieden hatte, Miss Tinkelton nicht zu mögen, so regte sich nun sogar Mitleid in ihr. Auf alle Fälle, so fand Lilith, schien sich die Direktorin viel zu oft aufzuregen. »Vielleicht sollte sie es mal mit Yoga oder Autogenem Training versuchen«, raunte sie Emma zu.
Die Mädchen kicherten. Sich Miss Tinkelton beim Yoga vorzustellen war ungefähr das Gleiche, wie einer steifbeinigen Tarantel dabei zuzusehen, wie sie sich an einem Kopfstand versuchte.
Mister Baker riss nun allerdings der Geduldsfaden. »Emma, hättest du die
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