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Lilith Parker: Insel Der Schatten

Lilith Parker: Insel Der Schatten

Titel: Lilith Parker: Insel Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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Matt kam nicht ungeschoren davon – unter wütendem Gezeter verkündete Mildred, dass sie ihn jetzt heimfahren und sich bei Eleanor entschuldigen müsse, da ihre verantwortungslose Nichte Matt und sich selbst in unnötige Gefahr gebracht hatte. Als Matt an dieser Stelle den Mund öffnete, um etwas zu erwidern, funkelte ihn Mildred so wütend an, dass er erschrocken innehielt und ihr wortlos nach draußen folgte. Mit hängenden Schultern stieg Lilith die Stufen hinauf.

    Lilith saß auf dem harten Boden und die kalten Fliesen bohrten sich in ihren Rücken.
    Pflatsch. Pflatsch. Pflatsch.

    Das stete Tropfen des Wasserhahns hatte eine einschläfernde Wirkung. Lilith musste ein Gähnen unterdrücken. Sie hatte das Gefühl, seit einer Ewigkeit hier im Dunkeln hinter der Badezimmertür zu sitzen. Sie lugte durch den Türspalt in den schwach beleuchteten Flur hinaus, doch dort draußen rührte sich nichts. Lilith seufzte, verlagerte ihr Gewicht auf die rechte Seite und zog das linke Bein an, das unangenehm zu kribbeln begonnen hatte. Vielleicht sollte sie ihr Versteck doch so langsam verlassen und sich zurück in ihr warmes Bett flüchten? Die Aussicht war zu verlockend. Sie sah auf die Uhr, deren Ziffernblatt im Dunkeln neongrün leuchtete. Zum ersten Mal war Lilith dankbar für dieses praktische Geschenk ihres Vaters. Er hatte ihr die Uhr nach Funktionalität ausgesucht: Sie war zwar hässlich, dafür aber nachtablesbar und stoßfest – und wenn Lilith einmal bis in die Tiefsee hinabtauchen wollte, konnte sie auch dort problemlos die Uhrzeit ablesen. Es war eines der wenigen Male gewesen, wo sie sich nicht mit einem bittenden Lächeln und einem gekonnten Augenaufschlag bei ihrem Vater durchsetzen und eine andere Uhr hatte erbetteln können. Er meinte, er wolle für seine Tochter nur das Beste, weil eine gute, zuverlässige Uhr ihr unter Umständen sogar das Leben retten könne. Sogleich hatte er Lilith gezeigt, wie man mithilfe der Uhr die Himmelsrichtung bestimmen konnte, eine Erklärung, der Lilith nur halbherzig gefolgt war. Zum einen hatte sie bezweifelt, dass sie in den Straßen Londons jemals in die Verlegenheit kommen würde, die Himmelsrichtung bestimmen zu müssen, zum anderen war sie überzeugt gewesen, dass sie vor Scham im Boden versinken würde, wenn sie mit dieser hässlichen Uhr am nächsten Tag zur Schule gehen musste.
    Bei der Erinnerung huschte Lilith ein Lächeln über das Gesicht. Sie hatte die Uhr am nächsten Tag trotzdem getragen, die Kommentare der Mädchen waren halb so schlimm gewesen und die Jungs in ihrer Klasse hatten sogar einige neidvolle Blicke auf Liliths neue Uhr geworfen.
    Es war Viertel nach elf. Es hatte wohl keinen Sinn mehr, länger zu warten. Gerade wollte Lilith sich erheben, als ein Geräusch sie innehalten ließ.
    Tatsächlich, es näherten sich Schritte!
    Lilith hielt die Luft an. Durch den schmalen Türspalt sah sie einen Schatten vorbeihuschen, der direkt vor ihrer Zimmertür stehen blieb. Man hörte ein metallisches Kratzen, dann wurde ein leiser Fluch ausgestoßen.
    Lilith grinste zufrieden. Blutkaugummi! Sie hatte das Türschloss damit zugeklebt. Lilith hatte längst erkannt, wer sich da an ihrer Tür zu schaffen machte: Es war tatsächlich ihre Tante.
    Mildred hatte es inzwischen aufgegeben, den Schlüssel in das verklebte Schloss stecken zu wollen, doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Was machte sie da nur?

    Es sah so aus, als würde sie mit der Hand unsichtbare Zeichen in die Luft malen und murmelte dabei Worte in einer unbekannten zischenden Sprache. Um sie besser beobachten zu können, lehnte sich Lilith nach vorne und stieß dabei mit dem Ellenbogen gegen die Tür. Sie zog scharf die Luft ein und konnte nur mühsam einen Laut des Schmerzes unterdrücken. Trotzdem musste Mildred etwas gehört haben. Sie fuhr herum und ihre Augen suchten hektisch den Flur ab. Lilith erstarrte und wagte nicht einmal mehr zu atmen. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis Mildred sich wieder entspannte, einen letzten Blick auf Liliths Zimmertür warf und dann den Flur und die Treppe hinunterging.
    Lilith wartete noch einen Moment, ehe sie sich aus dem Badezimmer hinauswagte und in ihr Zimmer schlüpfte. Mit klopfendem Herzen legte sie sich in ihr Bett, die Decke bis ans Kinn gezogen. Sie konnte sich zwar nicht erklären, was Mildred vor ihrer Tür gemacht hatte, doch eines war ihr klar geworden: Vielleicht hatte ihre Tante gar nicht die Absicht gehabt, sie einzusperren. Es sah eher so

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