Lilith Parker: Insel Der Schatten
sich die Bewohner Bonesdales als Spukhausdarsteller abwechselten. Jeden Mittag durften andere Kinder mitspielen und die Rolle des Mädchens, das in der Wand verschwand, war heiß begehrt.
»Ich durfte sie bisher am häufigsten spielen«, erzählte sie mit Stolz in der Stimme. »Dad hat gesagt, bei meinem Anblick würde es einem kalt den Rücken runterlaufen und ich sei eine echte Prinzessin der Dunkelheit!«
Beim Stichwort Dunkelheit fuhr Lilith zusammen. »Mist, jetzt ist es dunkel geworden und die meisten Touristen sind auch schon weg!«
Tatsächlich hatte sich die Devilstreet sichtlich geleert und viele der Buden wurden schon wieder abgebaut. Sie sah sich nach Mildreds Kutsche um, doch die war nirgends mehr zu sehen.
»Verdammt!«, entfuhr es ihr. »Ich muss unbedingt nach Hause!«
»Wow, schaut mal«, schrie Matt in diesem Moment begeistert auf. »Der Händler da vorne hat Finger-Guillotinen! Und Bio-Juckpulver!« Matt wandte sich an Lilith. »Warte nur noch einen Augenblick, ja? Dann können wir los, versprochen!«
Ehe Lilith etwas einwenden konnte, sauste Matt zu der Bude, vor der sich noch eine Handvoll Kinder und Jugendliche scharte.
Als die beiden Mädchen alleine waren, maß Emma sie mit einem prüfenden Blick, der Lilith mulmig zumute werden ließ.
»Du weißt von nichts, oder?«, fragte Emma schließlich.
Lilith sah sie verständnislos an. »Wovon soll ich nichts wissen?«
Emma schwieg, als ob sie ihre nächsten Worte sorgsam überdenken würde.
»Hör zu, Lilith«, begann sie mit ernster Stimme. »Du solltest mit deiner Tante über den Angriff der Krähe reden. Du musst es ihr unbedingt erzählen, hast du gehört? Das ist sehr, sehr wichtig!«
»Aber warum …«, setzte Lilith an.
»Ich muss jetzt los«, fiel Emma ihr ins Wort. Sie schien es plötzlich sehr eilig zu haben. »Ich hab meiner Mutter versprochen, heute Abend mit meinem Bruder Mathe zu lernen. Bis morgen!«
Völlig überrumpelt von ihren Worten starrte Lilith der davoneilenden Emma hinterher, während Matt mit einem glücklichen Lächeln und einem Arm voller Einkäufe zurückkam. Er musste sein gesamtes Taschengeld bei dem Händler ausgegeben haben.
»Wo ist denn Emma?«
Lilith sah verstört auf. »Sie musste heimgehen.« Ratlos schüttelte sie den Kopf. »Sie hat mich nur noch gefragt, ob ich tatsächlich von nichts wüsste, und mir gesagt, dass ich unbedingt Tante Mildred die Sache mit der Krähe erzählen soll.«
»Von was weißt du nichts?«, fragte Matt.
Lilith warf entnervt die Hände in die Luft. »Wenn ich wüsste, was sie gemeint hat, würde ich es ja wohl nicht nicht wissen, oder?«
Matt grinste entschuldigend. »Sorry, du hast ja recht!« Er wurde ernst. »Bisher hatte ich es ehrlich gesagt eher für einen Spaß gehalten, aber die scheinen uns hier tatsächlich etwas zu verschweigen. Die Frage ist nur was?«
Während sie sich auf den Weg in Richtung Friedhof machten, ließ Lilith sich das Gespräch vor dem Spukhaus noch einmal durch den Kopf gehen. Plötzlich stutzte sie. »Ist dir aufgefallen, wie gereizt sie reagiert hat, als du diese Vermutungen über die Heimbewohner angestellt hast?«
»Stimmt!« Matts Gesicht hellte sich auf. »Wir könnten uns bei dir einmal genauer umsehen. Vielleicht finden wir ja etwas Interessantes.«
»Wir?«, fragte Lilith überrascht.
»Klar, ich stecke doch auch in dieser Sache mit drin!«
Lilith lächelte ihn dankbar an. »Lieb von dir, aber ich halte es für besser, wenn ich das Seniorenheim alleine durchsuche. Das ist unauffälliger.«
Lilith hatte auch schon eine Idee, wie sie vorgehen würde. Das Durchsuchen der Zimmer musste allerdings bis morgen warten. Für heute Abend hatte sie schon einen anderen Plan.
Matt und Lilith eilten zurück, begleitet von Nebelschwaden und dem flackernden Licht der Straßenbeleuchtung. Wie versprochen brachte Matt sie nach Hause, was Lilith den Ärger mit ihrer Tante leider nicht ersparte. Als sie in die Küche traten, stand Mildred am Herd und hackte mit einem Messer inbrünstig auf eine Karotte ein. Der Blick, den sie Lilith zuwarf, ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass Mildred wütend auf sie war. Sie schickte Lilith auf ihr Zimmer, noch ehe diese eine Entschuldigung murmeln konnte.
»Ich bin wirklich sehr enttäuscht von dir, Lilith!«, zischte sie in bitterem Ton. »Aber immerhin weiß ich jetzt, dass du dich nicht an deine Versprechungen zu halten pflegst und ich dir mein Vertrauen lieber nicht schenken sollte.«
Selbst
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