Lilith Parker: Insel Der Schatten
nichts« von Shakespeare, und da Lilith dieses Stück schon in ihrer alten Schule durchgenommen hatte, konnte sie sich noch an einige wichtige Dinge erinnern.
Als Lilith am Nachmittag nach Hause kam, war sie so müde und erschöpft, dass sie sich am liebsten ins Bett gelegt und bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen hätte. Aber sie hatte Matt versprochen, die Zimmer der Heimbewohner nach Hinweisen zu durchsuchen, und so verbrachte sie den halben Nachmittag damit, sich in den Fluren der Parker-Villa herumzutreiben. Nur leider herrschte ausgerechnet an diesem Tag im ganzen Haus ein ständiges Kommen und Gehen. Isadora und Melinda veranstalteten in einem der Aufenthaltsräume eine Bridge-Party und hatten einige ältere Damen aus Bonesdale zu Besuch. Während Mildred hin- und hereilte, um die Ladys mit Kaffee, Tee und Kuchen zu bewirten, war Arthur dazu verpflichtet worden, Regius beim Ausmisten des Kellers zu helfen und einige seiner Erfindungen auf dem Dachboden zu verstauen. Immer wenn Lilith dachte, gerade sei es ruhig und sie könne es wagen, in ein Zimmer zu spähen, kam jemand um die Ecke und warf ihr einen erstaunten Blick zu. Lilith tat dann meist so, als ob sie etwas verloren habe, oder sie band sich einen Schnürsenkel zu, doch ihr war klar, dass ihr seltsames Verhalten auf die Dauer Aufsehen erregen musste. Als sie von Regius schließlich voller Misstrauen gefragt wurde, warum sie eigentlich schon seit Stunden hier im Flur herumlungerte, ließ sie ihr Vorhaben notgedrungen bleiben.
Aber sie musste nicht lange warten, bis sich eine günstigere Gelegenheit ergab. Als Lilith am nächsten Nachmittag nach Hause kam, brachen Arthur, Isadora und Melinda gerade zu einem der wöchentlich stattfindenden Treffen der GHA, der Gilde der Halloweenakteure, auf. Anders als Arthur waren Melinda und Isadora im Hintergrund tätig und halfen beim Nähen und Ausbessern der Kostüme. Mit ihren flinken Fingern waren sie zwei wahre Perlen der Schneiderkunst und für das Spektakel eine unschätzbare Hilfe, wie Arthur betonte, woraufhin die beiden Damen verschämt kicherten. Regius hatte sich wie üblich im Keller bei seinen Experimenten verschanzt und auch Mildred war nicht im Haus. Wie Arthur Lilith beim Hinausgehen informierte, schwamm Mildred nämlich, wenn es ihre Zeit erlaubte, jeden Mittag im Meer. Das fand Lilith mehr als ungewöhnlich. Immerhin war es schon Oktober und im Meer zu schwimmen hatte bei diesen Temperaturen für Lilith ungefähr den gleichen Reiz, wie sich freiwillig in eine Badewanne voller Eiswürfel zu legen. Für ihr Vorhaben war dieser Umstand jedoch mehr als günstig.
Nachdem Lilith eine Kleinigkeit gegessen und sich in ihrem Zimmer umgezogen hatte, spähte sie in den düsteren Flur hinaus. Im Haus herrschte eine geradezu gespenstische Stille. Auf Zehenspitzen schlich sie den Flur entlang und öffnete die erstbeste Tür zu ihrer Rechten. Mit angehaltenem Atem lugte sie durch den Türspalt. Es war niemand zu sehen oder zu hören.
Lilith drückte die Tür etwas weiter auf und … stieß enttäuscht die Luft aus. Die Möbel und das Bett waren mit weißen Leinentüchern abgedeckt und in den Ecken zeugten großzügige Spinnennetze von den derzeit einzigen Bewohnern dieses Zimmers. Hier gab es für Lilith nichts zu entdecken. Auch das nächste Zimmer war unbewohnt und zeigte das gleiche Bild. Anscheinend standen alle Räume in der Nähe ihres eigenen Zimmers leer.
Lilith ließ sich nicht entmutigen und machte weiter. Sicherlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie auf etwas Interessantes stoßen würde! Sie schlich den Flur entlang und öffnete vorsichtig die nächste Tür. In diesem Zimmer waren die Vorhänge geschlossen, und erst als sich Liliths Augen an das düstere Zwielicht gewöhnt hatten, konnte sie etwas erkennen.
Das Zimmer wurde dominiert von einem roten Chippendale-Sofa mit ausgestellten Füßen, auf dem zwei bestickte Seidenkissen akkurat platziert waren. Auch der Überwurf des schmalen Bettes war über und über mit schwarzen Blumenranken bestickt. Passend zu dem Sofa gab es einen Tisch und zwei Kommoden im Rokokostil. Auf einer von ihnen stand eine Fotografie in einem üppig verzierten Bilderrahmen, auf dem Isadora und Melinda Winterbottom in die Kamera lächelten. Somit musste dies das Zimmer einer der beiden Schwestern sein.
An der Tür des dunklen Kleiderschranks hing eine weiße, mit auffallenden Rüschen besetzte Bluse. Lilith erkannte sie sofort wieder. Nun war sie sich
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