Lilith Parker: Insel Der Schatten
Abenteuer seine Spuren hinterlassen hatte. Jeder Muskel in ihrem Körper schmerzte und auf ihrer Stirn prangte dort, wo sie gegen den Ast gelaufen war, eine dicke Beule. Lilith musste sich zusammenreißen, damit sie den Rückweg ohne eine Pause zurücklegen konnten. Sie wollte nur noch so schnell wie möglich raus aus diesem Wald und nach Hause. Kaum dass sie den Waldweg erreicht hatten, hörten sie das vertraute Rattern einer Kutsche. Es waren Emmas Eltern, die sich besorgt auf die Suche nach ihrer Tochter gemacht hatten. Erleichtert rannten die beiden Mädchen auf die Kutsche zu. Nun waren sie endlich in Sicherheit!
Als Lilith hinter Emmas Vater Frank die Küche betrat, sprang Mildred mit bleichem Gesicht in die Höhe. »Lilith, meine Güte, was ist passiert?«
Ehe Frank Lilith zu ihrer Tante gefahren hatte, hatte Emmas Mutter Cynthia die Wunden in ihrer Hexenküche versorgt. Dafür hatte sie jedoch nicht einen Zauberstab geschwungen, sondern ihre Verletzungen mit übel riechenden Salben und Tinkturen behandelt. Am Ende hatte sie Lilith gezwungen, einen Saft zu trinken, der so erbärmlich stank, dass sie schon beim ersten Schluck angewidert das Gesicht verzogen hatte. Emmas resolute Mutter hatte jedoch keine Widerrede gelten lassen und Lilith darüber informiert, dass Hexenheilmittel umso besser wirkten, je mehr sie stanken. Tatsächlich fühlte Lilith nun kaum noch etwas von ihren Verletzungen, auch wenn sie mit ihren eingerissenen Kleidern, den Schürfwunden und dem Verband um ihrer rechten Hand einen erschreckenden Anblick abgegeben musste. Mildred eilte besorgt zu ihr.
»Zwei Werwölfe haben die beiden im Wald des alten Johnson angegriffen«, antwortete Frank an Liliths Stelle. Er war ein breitschultriger Mann mit Vollbart, der Lilith irgendwie an einen gutmütigen Teddybären erinnerte. »Sie hatten wirklich Glück, dass sie das lebend überstanden haben.«
Nun fuhr auch Arthur alarmiert in die Höhe. »Werwölfe?«, wiederholte er ungläubig. »Außerhalb des Friedhofs?«
Frank nickte. »Cynthia gibt gerade den Wärtern Bescheid, dass sie die Tore und die Friedhofsmauern kontrollieren sollen. So etwas hätte nicht passieren dürfen!«
»Das ist doch nicht möglich«, widersprach Arthur. »Ohne einen Dämon sind Werwölfe doch so zahm wie …«
»Die Mädchen sagen, dass sie eine Malecorax gesehen haben«, unterbrach ihn Frank.
Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Plötzlich war es so still in der Küche, dass man das Tropfen des Wasserhahns hören konnte.
Mit einem irritierten Blick zu Lilith flüsterte Mildred fassungslos: »Das Portal ist wieder geöffnet … nach so langer Zeit …«
Arthur trat zu ihr und legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Wir wussten alle, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie wiederkommen.«
»Vielleicht ist das Portal auch gar nicht geöffnet worden«, versuchte Frank sie zu beruhigen. »Es könnte doch sein, dass sich die beiden getäuscht haben und es eine ganz gewöhnliche Krähe war.«
»Das war es ganz sicher nicht«, schaltete sich Lilith in das Gespräch ein. Sie konnte nicht glauben, dass Emmas Vater den Angriff, den seine Tochter und sie gerade erleben mussten, derart verharmlosen wollte. »Diese Krähe hatte es auf uns abgesehen. Sie hat auf meine Hand eingehackt, damit ich mich nicht mehr am Ast festhalten kann, und als Emma mir helfen wollte, hat die Krähe versucht, das zu verhindern. Verhalten sich so etwa gewöhnliche Krähen?«
Frank lächelte sie verständnisvoll an. »Vielleicht hat euch die Krähe für Feinde in ihrem Revier gehalten und euch deshalb angegriffen«, widersprach er ihr sanft. »Und immerhin weißt du erst seit Kurzem von der Welt der Untoten und kennst noch nicht unsere Regeln und die Merkmale, an denen man Wesen voneinander unterscheiden kann.«
»Du … du weißt von unserem Geheimnis?«, fragte Mildred stotternd.
Lilith nickte. »Emma wollte mir eigentlich nichts sagen, doch als uns die Werwölfe angegriffen haben, hatte sie keine andere Wahl.«
Mildred brauchte einen kurzen Moment, um sich wieder zu fassen, dann schien es Lilith, als würde sich so etwas wie Erleichterung auf dem Gesicht ihrer Tante abzeichnen.
»Jetzt setz dich erst einmal hin und ruhe dich etwas aus! Das alles muss ein Schock für dich gewesen sein«, stellte sie fest und zwang Lilith mit sanfter Gewalt, Platz zu nehmen. »Möchtest du etwas essen? Oder eine heiße Milch?«
Lilith schüttelte den Kopf. »Ihr müsst unbedingt zu dem Wald
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