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Lilith Parker: Insel Der Schatten

Lilith Parker: Insel Der Schatten

Titel: Lilith Parker: Insel Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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dass ich nur ein Mensch bin.«
    Trotzdem verspürte sie bei Nekrobas’ Worten einen leichten Stich. Hatte sie nicht selbst die Enttäuschung in den Augen ihrer Tante gesehen? Hatte sie den Alraunensaft nicht deshalb wie einen Schatz an ihr Herz gepresst, weil sie durch Emmas Erzählungen gespürt hatte, wie wichtig es in dieser Welt war, Fähigkeiten geerbt zu haben?
    »Du meinst, deine Tante nimmt dich so an, wie du bist?« Er hatte seine Augenbrauen fragend nach oben gezogen, seine Stimme triefte vor Spott.
    Lilith schwieg, trotzdem hielt sie Nekrobas’ Blick stand. Eine innere Stimme sagte ihr, dass sie sich nicht von ihm einschüchtern lassen durfte.
    Aber Nekrobas schien zu wissen, wie viel ihr an diesem Alraunensaft lag.
    »Gut, dann lassen wir Mildred doch noch etwas länger in dem Glauben, dass du ein nutzloser Mensch bist«, verkündete er.
    Er öffnete die Hand und Lilith musste hilflos mitansehen, wie die Flasche am Boden in tausend Stücke zersprang. Der Alraunensaft vermischte sich auf dem Boden mit der verschütteten Milch, wie ein hellgrüner Fluss, der sich durch eine weiße Landschaft schlängelte.
    »Sehe ich da etwa Enttäuschung auf deinem blassen Gesichtchen?« Nekrobas lachte auf. »Seltsam, ich dachte, sie liebt dich, so wie du bist – Alraunensaft hin oder her.«

    »Das tut sie auch!«, presste Lilith mühsam hervor, doch es klang nicht halb so überzeugt, wie sie es gern gehabt hätte.
    Während sich ihr Nekrobas Schritt für Schritt näherte, beobachtete er sie schweigend, so als würde er seine nächsten Worte genau abwägen.
    »Ihr Menschen seid so blind für das Offensichtliche und glaubt nur das, was ihr glauben wollt.« Nekrobas schüttelte verständnislos den Kopf. »Auch du, obwohl du mir doch gezeigt hast, dass du eigentlich ein cleveres Mädchen bist! Und alles nur, weil du eine große Schwäche, eine große Sehnsucht hast.« Seine Stimme hatte einen so eindringlichen, fast hypnotisierenden Unterton, dass Lilith ihm gegen ihren Willen mit angehaltenem Atem lauschte.
    »Sieh den Tatsachen ins Auge, Lilith: Deine Mutter hat dich auf dieser Welt alleine gelassen, für deinen Vater bist du nur ein lästiges Kind, das ihn bei seinen Karriereplänen behindert, und deine Tante hat dich vom ersten Moment an, ohne mit der Wimper zu zucken, hintergangen. Wie einsam du dich fühlen musst! Dabei ist es deine einzige große Sehnsucht, von Herzen geliebt zu werden.«
    Nekrobas verharrte für einen Moment und fuhr sich abwesend über die Narbe an seiner Oberlippe.
    »Aber manchmal kann man sich noch so sehr anstrengen, man wird nie das erhalten, was einem zusteht«, fügte er kaum hörbar hinzu.
    »Das stimmt nicht«, widersprach Lilith halbherzig.

    Sie versuchte, seine Worte zu ignorieren, sie als bloßen Unsinn abzutun, doch sie konnte es nicht. Nekrobas benutzte nicht die gleiche Kraft, mit der er Mildred und die anderen unter seine Kontrolle gebracht hatte. Oh nein, was er gerade tat, war viel heimtückischer. Denn allein durch aufmerksames Beobachten hatte er erkannt, wo Lilith am Verwundbarsten war und was er sagen musste, um ihre Entschlossenheit zu schwächen. Und obwohl sie sich dessen bewusst war, schaffte er es nun, dass sich seine Worte wie ein dämonisches Gift in ihr Inneres fraßen.
    Er blieb vor ihr stehen, legte den Kopf schief und betrachtete sie mitleidig.
    »Spürst du die Angst, Lilith? Diese Angst, die dir sagt, dass es deine eigene Schuld ist. Dass du es vielleicht nicht wert bist, geliebt zu werden. Du spürst die Angst, jetzt in diesem Moment, oder? Es ist ein kaltes Gefühl, das dir das Herz gefrieren lässt, eine bleierne Traurigkeit, die dich fast zu Boden sinken lässt. Wo sind sie denn alle, die dich beschützen und für dich da sein sollten? Sieh der Wahrheit ins Gesicht – du bist vollkommen alleine!«
    Lilith schluckte schwer. Natürlich spürte sie die Angst. Nun, da Nekrobas sie darauf gestoßen hatte, empfand Lilith sie so stark wie nie zuvor. Genau wie er gesagt hatte, war sie erfüllt von einer lähmenden Trauer, die so schwer an ihr zog, dass sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte. Plötzlich war ihr alles gleichgültig. Denn war nicht alles unwichtig, was sie tat, sagte oder dachte?
    »Du solltest dir überlegen, wer es wirklich gut mit dir meint.« Nekrobas legte ihr seine Hand auf die Schulter.
    »Lilith, gib mir das Amulett! Sieh der Wahrheit ins Gesicht und schon merkst du, dass es nur ein wertloses Stück Schmuck ist, das im Grunde

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