Lilith Parker: Insel Der Schatten
Werwölfe auf uns gehetzt?«
Seine Verletzungen und die Tatsache, dass er seit dem Angriff verschwunden gewesen war – alles passte zusammen. Die Platzwunde an seiner Stirn und die Prellungen stammten höchstwahrscheinlich von dem Schlag, den er von Emmas Trudenstein abbekommen hatte und seinem darauffolgenden Sturz in die Tiefe. Nekrobas war die Krähe, die Lilith seit ihrer Zugfahrt nach Bonesdale verfolgt hatte! Doch Mildred und die anderen hatten mit keinem Wort erwähnt, dass eine Malecorax auch menschliche Gestalt annehmen konnte. Allerdings hatten sie Lilith ja nicht einmal geglaubt, dass es tatsächlich eine Malecorax gewesen war … Lilith zuckte zusammen, denn die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag: Sie stand hier vor einem leibhaftigen Dämon und weit und breit war keine Menschenseele, die ihr beistehen konnte! Auch Hannibal musste wieder einmal die Nähe des Dämons gespürt haben. Sein Schlafplatz war leer. Von ihm konnte sie dieses Mal keine Hilfe erwarten.
»Und weißt du auch, warum ich das alles getan habe?«, fragte Nekrobas.
»Sie wollen mein Amulett.«
Er schlenderte zum Tisch hinüber. Lilith beobachtete ihn nervös und schätzte die Entfernung zwischen sich und der Tür ab. Selbst wenn sie rannte, so schnell sie konnte, hätte Nekrobas noch genügend Zeit, ihr den Weg nach draußen zu versperren.
»Dein Amulett? Nimmst du dich da nicht etwas zu wichtig?« Er machte eine Pause und zog überrascht eine Augenbraue hoch. »Oder weißt du am Ende gar nicht, was für ein bedeutendes Schmuckstück du um den Hals trägst?«
Lilith schwieg und presste trotzig die Lippen zusammen. Doch für Nekrobas war dies Antwort genug. Er lachte auf.
»Was du als dein Amulett bezeichnest, gehört in Wahrheit dem ganzen Volk der Nocturi. Das sagenumwobene Bernstein-Amulett war viele Jahre verschollen und niemand wusste, wo es sein konnte«, begann er zu erzählen. »Doch vor einigen Monaten empfing ich plötzlich so etwas wie eine magische Schwingung. Ein kurzes, aber prägnantes Signal, direkt aus dem Herzen Londons.« Er setzte sich auf den Rand des Tisches und begann, mit einem Küchenmesser in der Hand zu spielen. »Du besitzt nämlich kein gewöhnliches Schmuckstück, Lilith. Die Kugel wurde aus einem Bernstein hergestellt, der über 50 Millionen Jahre alt ist und in dessen Inneren eine Spinne eingeschlossen ist, die die Zeichnung einer roten Krone auf dem Rücken trägt.«
Zwar hatte Lilith schon vermutet, dass ein Insekt im Bernstein eingeschlossen war, doch nun musste sie der Versuchung widerstehen, das Amulett hervorzuholen und sich von seinen Worten zu überzeugen.
»Das Metall wurde von einem Magier geschmiedet, der darin einen mächtigen Zauber bewirkt hat«, fuhr Nekrobas fort. »Das macht dein Amulett zu einem der vier wichtigsten magischen Gegenstände, die es in der Welt der Untoten gibt. Viele behaupten sogar, das Bernstein-Amulett besitze so etwas wie ein lebendiges Wesen. Wahrscheinlich stimmt das sogar, denn vor einigen Monaten muss der Bernstein von jemandem berührt worden sein, der ihm wichtig war. Das Amulett hat ein Signal ausgesendet gleich einem einzigen freudigen Herzschlag.«
Lilith schluckte schwer. Er musste von dem Moment sprechen, als ihr Vater ihr zum ersten Mal erlaubt hatte, das Amulett anzulegen.
»Leider war es die einzige magische Schwingung, die ich empfangen habe, und so hat es einige Zeit gedauert, bis ich dir auf die Spur gekommen bin. Lange war ich mir nicht sicher, ob nicht doch dein Vater das Amulett versteckt gehalten hat.«
»Deswegen haben Sie sich hier bei meiner Tante eingenistet, um nach dem Amulett suchen zu können.«
Nekrobas nickte. »Dabei wäre es sehr viel leichter für mich gewesen, wenn du dich mir gegenüber genauso kooperativ gezeigt hättest, wie die anderen Bewohner hier im Haus.« Er legte das Küchenmesser zurück auf den Tisch. Dabei fiel sein Blick auf die Flasche, die Lilith dort abgestellt hatte. »Sieh an, Alraunensaft!«
Er nahm die Flasche an sich. »Dann ist es dir wohl gelungen, in die Crepusculelane zu kommen? Wo deine Tante doch so sicher war, dass du überhaupt keine Fähigkeiten geerbt hast«, fuhr er in entspanntem Plauderton fort. »Nur ein weiterer nutzloser Socor in der Familie, schon wieder. Dir gegenüber konnte sie sich noch zusammenreißen, aber mir hat sie gestanden, wie enttäuscht sie darüber war.«
Getroffen sah Lilith zu ihm auf. »Das glaube ich nicht!«, zischte sie. »Meiner Tante ist es gleichgültig,
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