Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
Arthurs Unterricht in »Spezieskunde der Untotenwelt – Verhalten, Ernährung und Geschichte« eine vage Ahnung davon besaß, was für grauenerregende Wesen tatsächlich dort unten in der Tiefe ihr Dasein fristeten, wollte sie keinen Augenblick länger als notwendig im Wasser bleiben.
»Können wir nicht wieder zurückschwimmen? Es ist spät geworden und außerdem ist meine Haut schon ganz aufgeweicht. Du willst doch nicht, dass ich bei Emmas letzter Hexenprüfung wie eine schrumpelige Fledermaus aussehe, oder?«
Seit Emma sich an ihrem dreizehnten Geburtstag zur Überraschung aller zu einer Hexe gewandelt hatte, musste sie mehrere geheime Prüfungen bestehen, und obwohl Lilith versucht hatte, aus ihrer Freundin etwas über deren Verlauf herauszubekommen, blieben Emmas Lippen stets verschlossen. Nur an ihrem stolzen Lächeln war zu erkennen, dass sie die Aufgaben anscheinend zur Zufriedenheit des Bonesdaler Hexenzirkels gelöst hatte. Nun stand die siebte und letzte Prüfung an, und aus der Aufregung, die in den letzten Tagen im Hause der Middletons herrschte, schloss Lilith, dass diese besonders wichtig sein musste. Der Hexenzirkel hatte Lilith, als Trägerin des Bernstein-Amuletts und zukünftige Führerin der Nocturi, sogar als Ehrengast eingeladen. Sie platzte fast vor Neugier und konnte den heutigen Abend kaum erwarten, auch wenn sie dafür zum ersten Mal ein Bansheefesttagskleid anziehen musste.
»Bisher hast du nicht gerade große Fortschritte gemacht«, stellte Mildred gnadenlos fest. »Es ist besser, wenn wir noch ein bisschen üben. Zuerst muss ich dir diese Angst vor dem Meer austreiben, die dir dein Vater all die Jahre über eingebläut hat.«
»Na toll, das kann ja noch ewig dauern«, murrte Lilith.
Sie konnte ihrem Vater deswegen nicht einmal böse sein, immerhin war Mildreds und Josephs Schwester mit dreizehn Jahren bei einem tragischen Unfall ertrunken, nachdem sie sich nicht zur Sirene gewandelt hatte.
»Du legst dich jetzt auf den Rücken«, befahl Mildred. »Und dann entspannst du dich gefälligst!«
Lilith runzelte verärgert die Stirn, manchmal ging ihr Mildreds herrische Art ganz schön auf die Nerven, und in Momenten wie diesen würde sie am liebsten … Nein, mahnte ihre innere Stimme sie sofort, du darfst nicht wütend werden! Seit der Nacht, in der sie mit Belial vor dem Tor zu Nightfallcastle gekämpft hatte, verbot sie sich jedes aufkeimende negative Gefühl, denn zu groß war ihre Angst, dass dadurch ihre dunkle Seite erneut zum Vorschein kommen könnte. Nie wieder wollte sie diese dämonische Macht in sich spüren, die von Belial auf so heimtückische Art und Weise geweckt worden war und von der sich Lilith bis heute nicht erklären konnte, warum sie sie in sich trug … Einzig mit Strychnin teilte sie dieses rätselhafte Geheimnis und er hatte ihr bei seiner Ehre als Dämonendiener geschworen, es niemals zu verraten.
Schwimm einfach weiter, befahl sie sich nun selbst, reg dich nicht auf und denk an etwas anderes! Mildred meinte es schließlich nur gut und mit ein bisschen Glück beendete sie bald die Schwimmstunde …
Erneut blickte Lilith sehnsüchtig zum Ufer und musste einen freudigen Aufschrei unterdrücken, denn dort stand mittlerweile eine Gestalt und winkte in ihre Richtung. Das war ihre Rettung!
»Ist das dahinten nicht Louis?«
»Was? Wo denn?« Mildreds entspannte Haltung war auf einen Schlag dahin und fast wäre sie beim hektischen Versuch, sich auf den Bauch zu drehen, untergegangen. Als sie Louis Lambert am Ufer erblickte, überzogen sich ihre Wangen mit einer zarten Röte. »Tatsächlich, dabei sind die Sonne und die Hitze doch Gift für ihn.«
Lilith grinste. »Dein Vampir scheint eben Sehnsucht nach dir zu haben.«
»Er ist nicht mein Vampir«, fauchte Mildred, während sie anmutig auf ihn zusteuerte. »Wir sind nicht zusammen.«
»Nicht?« Lilith schwamm wie ein schnaubendes Walross hinter ihr her und konnte es kaum abwarten, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. »Dann wird es aber höchste Zeit, im Dorf geht man sowieso schon davon aus, dass ihr ein Paar seid. Erst heute Morgen hat mich Emmas Mutter gefragt, ob wir drei zu ihnen zum Mitternachtsgrillen kommen wollen.«
»Das ist aber nett von ihr, richte ihr doch bitte einen lieben Dank für die Einladung aus!« Mildred schwieg einen Moment und stieß einen kaum hörbaren Seufzer aus. »Ich will ja nicht leugnen, dass Louis und ich uns gut verstehen und viel Zeit miteinander verbringen.
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