Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
noch mein Schreibtisch übrig.«
Sie durchquerten gemeinsam den Raum. Neben der Karte, wo Lilith Nikolai anfangs angetroffen hatte, stand ein blank polierter, für seine Verhältnisse überraschend ordentlicher Schreibtisch. Er musste Liliths verblüfften Blick bemerkt haben, denn er meinte lächelnd: »Der Schreibplatz eines Wissenschaftlers muss aufgeräumt sein, sonst kann er keine Ordnung in seine Gedanken bringen.«
»Das gilt wohl nicht nur für Wissenschaftler.«
»Da ist es ja!« Erleichtert griff er nach einem kleinen, unscheinbaren Buch. »Hier drin habe ich alles notiert, was ich über die Amulette zusammentragen konnte. Ich habe viele Jahre gebraucht und unzählige Archive und private Bibliotheken durchforstet, bis ich all die notwendigen Informationen beisammenhatte. Bevor wir die Zeremonie tatsächlich durchführen, solltest du es dir gut durchlesen!« Er zögerte einen Moment, als käme ihm plötzlich ein neuer Gedanke. »Du kannst doch schon Laluschâr, oder?«
»Wahrscheinlich lange nicht so gut wie du, aber mein Lehrer in Bonesdale würde sagen, dass das eine perfekte Übung für mich ist.« Sie blätterte in den Seiten, die mit einer kleinen, peniblen Handschrift beschrieben und einigen Zeichnungen versehen waren. »Wir gehen mit der Zeremonie kein Risiko ein, oder? Nicht dass versehentlich der Eid aufgehoben wird und wir die Dämonen befreien.«
»Nein, dazu wären alle vier Amulette nötig«, beruhigte Nikolai sie. »Aber mit zwei Amuletten und den passenden Beschwörungsformeln können tatsächlich einige Teile des Eids abgeschwächt werden, so wie es dein Großvater getan hat.«
»Als er dem Erzdämon die Erlaubnis erteilt hat, in Menschengestalt in unsere Welt zu wechseln und die restlichen Dämonen als Malecorax«, ergänzte sie peinlich berührt. Wahrscheinlich waren die Einzelheiten über die Affäre ihres Großvaters mit Rebekkas Mutter und die darauffolgende Erpressung Zebuls schon bis nach Chavaleen gedrungen.
»Theoretisch könntest du bei der Zeremonie mit dem richtigen Spruch sogar den magischen Schutz eures Schattenportals erneuern, das funktioniert selbst auf diese Entfernung. Dein Bernstein-Amulett kann zusammen mit einem weiteren Amulett jeden Nocturi-Zauber beeinflussen. Leider bräuchte ich dafür mehr Zeit und Vorbereitung, aber wenn du möchtest, machen wir das ein anderes Mal.«
Lilith dachte an den unschönen Streit zurück, den sie vor einigen Tagen am Schattenportal miterlebt hatte. Sollten die Magier sich tatsächlich weigern, das Portal zu verschließen, wäre dies wenigstens eine Alternative. »Darauf kommen wir womöglich zurück.«
»Leider muss ich jetzt noch einige dringende Dinge erledigen«, setzte er an.
»Kein Problem, ich finde alleine zurück«, versicherte sie ihm. »Igor hat mich so langsam hierhergeführt, dass ich viel Zeit hatte, mir den Weg einzuprägen.«
»Ich danke dir, dass du gekommen bist«, meinte er, während er sie zur Tür brachte. »Es war sehr interessant, sich mit dir zu unterhalten!«
Im Vorübergehen blieb Liliths Blick an einem verschlossenen Glas hängen, das auf dem vordersten Tisch stand. Darin schwebten einige Lichtpunkte, die wie zu groß geratene Glühwürmchen aussahen.
»Hey, euch kenne ich doch!«, rief sie erstaunt aus und blieb wie angewurzelt stehen.
Nikolai wandte sich um und folgte ihrem Blick. »Diese Tierchen kannst du nicht kennen!«, widersprach er ihr im Brustton der Überzeugung. »Das ist eine sehr seltene Art, die kaum jemand aus der Welt der Untoten je zu Gesicht bekommt.«
»Das sind Seelengrubler«, gab sie triumphierend zurück. »Ich habe sie schon einmal über einem Grab auf dem Friedhof gesehen.« Plötzlich fiel ihr ein, dass sie diese Information besser für sich behalten hätte. Sie und vor allen Dingen Emma würden große Probleme erwarten, wenn jemand von ihrer nächtlichen und vor allen Dingen streng verbotenen Jagd auf die Seelengrubler erfuhr. »Natürlich rein zufällig!«, fügte sie hastig hinzu.
Er runzelte die Stirn. »Du bist rein zufällig bei Vollmond um Mitternacht auf einem Friedhof?«, fragte er misstrauisch. »Vor einem Grab eines Nocturi, der kürzlich verstorben ist?«
Lilith schluckte schwer, ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. »Äh, ja, das ist ganz neu in Bonesdale«, stammelte sie. »Jede Klasse besucht ein Mal im Schuljahr nachts den Friedhof, um sich dieses seltene Phänomen anzusehen, weil … weil die Seelengrubler stehen ja seit Kurzem unter
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