Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
»Danke, aber wenn selbst ich mich in diesem Durcheinander nicht zurechtfinde, kannst du leider auch nichts ausrichten. Aber du könntest mir das Glas geben, das rechts neben dir steht!«
Lilith drehte sich um und nahm mit angewidertem Gesicht das Gefäß in die Hand. »Igitt, sieht das widerlich aus, wie radioaktiver Schneckenschleim. Was für ein Experiment ist das denn? Bio-Sprengstoff?«
Nikolai zog eine Augenbraue hoch. »Das ist mein täglicher Vitaminshake von Igor.«
»Oh.« Mit glühenden Wangen reichte Lilith ihm das Glas. »Wohl bekomm’s.«
Er führte sie zu einer Sitzecke und räumte ihr einen Platz auf einem abgewetzten Sofa frei. »Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, bei Andrés Geburt – nun, schon in den folgenden Jahren zeichnete sich ab, dass er Vater sehr viel ähnlicher werden würde als ich. Zu diesem Zeitpunkt war Vadim übrigens noch nicht Träger des Blutstein-Amuletts, sondern nur einer der nächsten Anverwandten unseres Führers und sein politischer Berater. Nachdem dessen Sohn Victor vom Amulett getötet wurde, stand eigentlich Razvan der Thron zu, doch er verzichtete freiwillig darauf. Was ich gut nachvollziehen kann, denn es ist eine Sache, in der Theorie zu wissen, dass das Blutstein-Amulett viele der Thronanwärter zu Asche pulverisiert, aber eine ganz andere, wenn es vor den eigenen Augen geschieht. Ich sage dir, das ist ein schrecklicher Anblick.« Er erschauderte sichtlich. »Ich bewundere den Mut meines Vaters, dass er es trotzdem gewagt und das Amulett angelegt hat. Nachdem er erwählt wurde, katapultierte mich dies unfreiwilligerweise an den ersten Platz der Rangfolge, dabei war und ist meine Welt die Wissenschaft. Ich liebe mein Laboratorium und ich liebe es, einem Rätsel, das unlösbar erscheint, mithilfe von Experimenten und Studien auf die Spur zu kommen. Schon seit meiner Kindheit interessiere ich mich für Biologie, die Entstehung des Lebens und für all die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen den magischen und nicht magischen Spezies.«
Tatsächlich hatte Lilith schon festgestellt, dass Nikolai hier unten sehr viel gelöster und glücklicher wirkte. Seine Erzählung beantwortete aber auch einige weitere Fragen, die sie sich seit ihrer Ankunft in Chavaleen gestellt hatte, beispielsweise warum Razvan sich beim gemeinsamen Abendessen so rebellisch und wenig demütig gezeigt hatte. Wenn er sich als eigentlicher Führer der Vampire sah, war es für ihn sicherlich nicht einfach, Vadims Befehle zu befolgen. Ob er mittlerweile bereute, dass er auf den Thron verzichtet hatte?
»Politik, Regierungsgeschäfte und der Wunsch, unser Volk anzuführen, waren seit jeher Vadims und Andrés Leidenschaft«, fuhr Nikolai ohne eine Spur des Bedauerns fort. »Als Vater mir offenbarte, dass er André für den passenderen Nachfolger hält und ihn als zukünftigen Führer aufbauen möchte, war ich ehrlich gesagt erleichtert. Ich hatte schon Albträume, wie sich das Amulett bei meiner Anwärterschaft erwärmt und mich die Flammen verschlingen.«
»Ich hätte das Bernstein-Amulett wohl auch nicht angelegt, wenn ich gewusst hätte, was für ein Risiko ich damit eingehe«, gestand sie Nikolai. Sie hätte nie erwartet, dass selbst ein erwachsener Mann, der in diese Welt hineingeboren war, mit ähnlichen Ängsten und Selbstzweifeln zu kämpfen hatte. »Obwohl ich mich langsam an meine neue Rolle gewöhne, bin ich mir immer noch nicht sicher, ob ich dafür wirklich geeignet bin. Immerhin bin ich bei den Menschen aufgewachsen und habe über die Welt der Untoten noch viel zu lernen.« Unwillkürlich dachte sie an ihren peinlichen Auftritt bei Emmas letzter Hexenprüfung zurück. »Und dass meine Begegnungen mit Belial bisher so glimpflich ausgegangen sind, hatte ich weniger meinem Können als dem Glück zu verdanken.«
»Du solltest deine Siege nicht nur auf einen glücklichen Zufall schieben! Manchmal ist es weniger das Können als die Entschlossenheit und der Charakter, die über den Ausgang einer Schlacht entscheiden.«
Wie um seine eigene Entschlossenheit unter Beweis zu stellen, leerte er sein Glas mit dem gallertartigen Vitaminshake in einem Zug. Schon allein vom Zuschauen musste Lilith trocken würgen.
Aber vielleicht war es tatsächlich an der Zeit, dass sie etwas selbstbewusster auf ihre Taten zurückblickte? Sie erinnerte sich daran, wie sie gemeinsam mit Matt gegen Belial gekämpft hatte, während Emma die Dorfbewohner zu ihrer Rettung ins Kindermoor gelotst hatte. Und wie
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